Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
und wieder einen Tag später: »ratlos, wehrt sich gegen alles.« Er fragt, was sie denke, wo sie sei, wann sie geboren sei, wie sie heiße - keine dieser Fragen kann sie beantworten. Auguste sollte noch weitere fünf Jahre in dieser Klinik gepflegt werden. Schließlich lag sie vollkommen benommen und inkontinent im Bett, die Beine angezogen, in einem Zustand »völliger Schwachsinnigkeit«, so Alzheimer.
Auguste Deters Krankenakte wurde 1995 zufällig im Archiv der Frankfurter Klinik für Psychiatrie wiedergefunden; sie war unter einem falschen Jahr abgeheftet. Zwei Jahre später fand man noch fünf Fotos. 2 Die Ratlosigkeit, die Alzheimer so berührte, ist von ihrem Gesicht abzulesen. Sie starb im Frühling 1906. In den Präparaten ihres Gehirns fand Alzheimer die charakteristischen Gewebeveränderungen der Krankheit, die heute seinen Namen trägt.
ALZHEIMER, NEUROPATHOLOGE
Alois Alzheimer-Taufname Aloysius-wird 1864 als Notarssohn im Städtchen Marktbreit in der Nähe von Würzburg geboren. 3 Nach dem Gymnasium beschließt er, Medizin zu studieren. Er selbst hätte sich gern in Würzburg immatrikuliert, nicht weit von seinem Heimatort und an einer Universität, an der auch sein Halbbruder Karl schon studierte, aber sein Vater, ehrgeiziger als Alois - er sollte zeit seines Lebens von Menschen umgeben sein, die ehrgeiziger waren als er -, schickt ihn nach Berlin, das zu dieser Zeit das >Mekka der Medizin< war. An dieser medizinischen Fakultät hatte Robert Koch 1882 den Tuberkulosebazillus entdeckt und 1883, in dem Jahr, in dem Alzheimer sein Studium aufnimmt, den Choleraerreger. Nach einem einzigen Semester hat er genug von Berlin und geht doch nach Würzburg.
Dort lassen ihm die Aktivitäten des Corps Franconia wenig Raum für sein Studium. Einem Säbelduell verdankt er eine Narbe vom linken Auge bis zum Kinn. Erst im Wintersemester 1884/85 vertieft er sich ins Medizinstudium. Danach geht es schnell: Die Pathologie reizt ihn, und dabei vor allem die mikroskopische Gewebeuntersuchung. 1887 schreibt er eine Doktorarbeit über die Drüsen, die Ohrenschmalz produzieren. Alzheimer konnte hervorragend zeichnen, und wie sein späteres Werk enthält die Dissertation wunderbare Zeichnungen von Gewebepräparaten. Ein Jahr später sind alle medizinischen Examen abgeschlossen. Er ist dreiundzwanzig Jahre alt. Alzheimer ist bereit für den nächsten Schritt in seiner Laufbahn.
Alois Alzheimer (1864-1915).
Ende 1888 bewirbt er sich schriftlich um die Stelle eines Assistenzarztes in der Anstalt für Irre und Epileptische in Frankfurt am Main. Alzheimer gibt an, über einige psychiatrische Erfahrung zu verfügen: Er ist gerade erst von einer Reise als Privatarzt einer geisteskranken Dame zurückgekehrt. Er führt auch seine Teilnahme an den Vorlesungen und Praktika in der mikroskopischen Pathologie des Anatomischen Instituts an. Der Anstaltsleiter, Emil Sioli, schickt noch am gleichen Tag ein Telegramm, er sei angenommen. Sein Jahresgehalt beträgt 1200 Mark, Kost und Logis sind frei, ln Sioli findet Alzheimer einen Seelenverwandten. Beide sind fasziniert vom >Non-Restraint-Prinzip<. Genau wie Korsakow - der im selben Jahr 1888 in Moskau die Leitung einer psychiatrischen Klinik übernommen hatte - versuchen sie, eine Pflege ohne Zwangsmittel wie Isolierzellen oder Zwangsjacken einzuführen. Die Einrichtung eignet sich dazu. Sie ist großzügig angelegt mit Gärten, Parks und einer Einteilung in Pavillons, die sich nach der damaligen psychiatrischen Klassifikation richtete: ruhige Kranke, unruhige Kranke, die Paralytischen, die Blödsinnigen, die Tobsüchtigen und die Epileptiker. Das Sektionszimmer mit dem Mortuarium, einen unangenehm riechenden Raum mitten in der Anstalt, lässt Sioli durch einen frei stehenden, hell beleuchteten Sektionssaal ersetzen.
Tagsüber macht Alzheimer seine Runde durch die Säle, aber in erster Linie versteht er sich als Neuropathologe. Er hilft seinen Patienten, sobald sie verstorben sind: Abends setzt er sich ans Mikroskop, um das Nervengewebe zu untersuchen, das bei Autopsien gesammelt wurde. Ein paar Monate nach Alzheimer kommt ein zweiter vielversprechender Neuropathologe nach Frankfurt: Franz Nissl. Anlass für seinen Weggang aus München, wo er im Labor von Bernhard von Gudden gearbeitet hatte, war ein Drama, das sich im Sommer 1886 abgespielt hatte. 4
Mit drei weiteren führenden Psychiatern hatte man von Gudden ersucht, Ludwig II. von Bayern als unzurechnungsfähig zu erklären. Der
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