Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Fürst litt an Verfolgungs- und Größenwahn und man wollte ihn vorübergehend absetzen, damit er sich in Behandlung begeben konnte. Dafür wurde auf Anweisung von Guddens Schloss Berg am Starnberger See hergerichtet. Am Spätnachmittag des 13. Juni machte von Gudden mit seinem Patienten einen Spaziergang durch den Schlosspark, zwei Pfleger folgten ihnen in kurzer Entfernung. Sie sahen, wie Ludwig von Gudden etwas ins Ohr flüsterte, woraufhin ihnen der Arzt bedeutete, sich zurückzuziehen. Wenige Stunden später fand man beide tot im Starnberger See. Die Umstände ihres Todes wurden niemals geklärt. Wahrscheinlich war Ludwig, den von Gudden noch einen Tag zuvor mit Müh und Not von einem Selbstmordversuch abgehalten hatte, in den See gerannt, gefolgt von Bernhard von Gudden. Spuren im Lehmboden schienen darauf hinzuweisen, dass dieser den König unweit vom Ufer noch am Kragen erwischte, was einen Kampf zur Folge hatte. Möglicherweise hat Ludwig, einundvierzig, muskulös, einhundertzwanzig Kilo, den zweiundsechzigjähri-gen Arzt unter Wasser gedrückt und sich danach selbst ertränkt. Sie wurden dicht nebeneinander gefunden.
Die Tragödie hatte großen Einfluss auf Nissls persönliches Leben. Als Medizinstudent hatte er eine von von Gudden ausgeschriebene Preisfrage über pathologische Veränderungen bei Hirnzellen gewonnen und in dem eingesendeten Artikel eine Methode beschrieben, mit der durch Imprägnierung mit Magentarot die Struktur von Nervenzellen sichtbar gemacht werden konnte. Später sollte er Methylenblau dazu verwenden; diese Technik ist noch immer als Nissl-Fär-bung bekannt. Bernhard von Gudden hatte ihn gleich nach seinem Examen als Assistenzarzt eingestellt. Auch von Gudden konnte sich einer neurologischen Innovation rühmen. Gehirn besteht aus sehr zartem Gewebe, und die Entnahme von Gewebescheiben hat gewisse Ähnlichkeit mit dem Schneiden von jungem Käse. Bernhard von Gudden entwarf 1875 ein Mikrotom, mit dem Scheibchen über die gesamte Länge des Gehirns geschnitten werden konnten. 5
Der plötzliche Tod Bernhard von Guddens brachte Nissl aus dem Gleich-
gewicht. Seine Forschungsarbeit geriet ins Stocken, er kränkelte und nach einem Aufenthalt an einem Kurort beschloss er, sich als stellvertretender Arzt bei der Irrenanstalt von Frankfurt zu bewerben. Nissl und Alzheimer freundeten sich an und arbeiteten jahrelang in enger kollegialer Verbundenheit zusammen. 1894 war Nissl bei Alzheimers Hochzeit Trauzeuge. Die Umstände dieser Eheschließung waren ebenso ereignisreich wie die von Nissls Umzug nach Frankfurt.
Der Heidelberger Arzt Wilhelm Erb hatte einen Syphilispatienten in Behandlung, Otto Geisenheimer. Geisenheimer kam
Das Mikrotom von Bernhard von Gudden. Das zu zerschneidende Gehirn wurde in den Zylinder a eingelassen. Mit der Stellschraube c konnte der Anatom das Gehirn Mikrometer für Mikrometer hochschieben, dem Messer entgegen, das über den Rand b gezogen wurde. Um zu vermeiden, dass die Scheibe am Messer kleben blieb, wurde unter Wasser gearbeitet und das im Wasser schwebende Vlies auf einem Schälchen aufgefangen. Von Gudden schrieb, von einem Affenhirn mit einem Durchmesser von 4,5 cm habe er 810 Scheibchen geschnitten, die im Durchschnitt also etwa 0,055 mm dünn waren. Die Einrichtung beweist, dass die Biedermeierzeit (1815-1848) mit kleiner Verzögerung bis in anatomische Laboratorien vorgedrungen war.
ursprünglich aus Frankfurt, war aber mit zwanzig Jahren nach New York gezogen und hatte im Juwelenhandel ein Vermögen verdient. Mit achtunddreißig Jahren kam er nach Frankfurt zurück, um sich eine Braut zu suchen. 1883 heiratete er Cecilia Wallerstein (23), die wie er aus wohlhabenden jüdischen Kreisen stammte. Geisenheimer litt an einer Krankheit, die bis dahin noch >Gehirnerweichung< genannt wurde. 1892 begleitete Erb das Ehepaar Geisenheimer als Leibarzt während einer wissenschaftlichen Expedition nach Nordafrika. Nach der Ankunft in Algerien verschlechterte sich Geisenheimers Gesundheitszustand schnell. Erb telegraphierte Alzheimer - der die Syphilis erforscht hatte und Erfahrung als Privatarzt besaß -, ob er so schnell wie möglich kommen könne, um das Ehepaar Geisenheimer auf der Heimreise zu begleiten.
Trotz der guten Pflege starb Geisenheimer, kurz nachdem die Gesellschaft Nizza erreicht hatte. Vielleicht schon auf dieser Rückreise, vielleicht ein wenig später, müssen Alois und Cecilia ihr Herz aneinander verloren haben. Sie heiraten im April 1894.
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