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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Durch die Heirat wird Alzheimer finanziell unabhängig.
    In Frankfurt leben die Alzheimers in großem Stil. Cecila lässt sich täglich mit der Kutsche in die Stadt bringen, um Kunst und Antiquitäten zu erwerben, womit sich ihr Heim allmählich füllt. Acht Dienstboten sorgen für den Haushalt, es gibt festliche Abendessen und Empfänge. Cecilia, die eine Zeit lang in New York gewohnt hatte und mit Geisenheimer viel gereist war, führt eine Weitläufigkeit ein, die Alzheimer von Haus aus nicht mitbekommen hat, in die er sich jedoch nur zu gern fügt. »Alzheimer liebte Behaglichkeit und rauchte viel«, sollte Kraepelin später schreiben. 6 Das ist auf Fotos auch gut zu erkennen: Es gibt kaum Fotos von Alzheimer ohne Zigarre - und seine Beleibtheit schon als Mittdreißiger verrät sein Talent, das Leben zu genießen. Kurz nacheinander werden zwei Töchter und ein Sohn geboren.
    Im Februar 1901 beendet Cecilias Tod eine - so Nissl - »glücklichste Ehe« 7 und lässt Alzheimer als sechsunddreißigjährigen Witwer mit drei kleinen Kindern zurück. Seine acht Jahre jüngere Schwester Elisabeth zieht bei ihm ein und hilft, die Kinder großzuziehen. Seine Gespräche mit Auguste führt Alzheimer im vermutlich elendigsten Jahr seines Lebens.
    EINE SPUR AUS ZIGARRENSTUMMELN
    Im Herbst 1903 zog Alzheimer mit seinen Kindern und Elisabeth nach München. Emil Kraepelin, Direktor der Königlich Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität, hatte ihn gebeten, die Leitung des Anatomischen Labors zu übernehmen. Ein Gehalt konnte ihm Kraepelin nicht bieten, aber darauf war Alzheimer auch nicht angewiesen. Im dritten Stock war ein großer heller Saal für die pathologische Untersuchung eingerichtet worden. Auf langen Tischen am Fenster standen die Mikroskope, es gab eine camera lucida, mit der Präparate gezeichnet werden konnten, man verfügte über ein Mikrotom und Kameras für die gerade erst eingeführte Mikrofotografie von Präparaten. An der Wand hingen zwei Telefone für die Mitteilung von Ergebnissen. Das Labor wurde von Studenten und Gastforschern aus der ganzen Welt besucht. Die Gästeliste liest sich wie ein Kompendium von Eponymen. Friedrich Heinrich Levy arbeitete dort - er sollte während der Nazizeit nach Amerika emigrieren und seinen Namen in Frederic Lewy ändern. Nach ihm sind die aus Eiweißablagerungen bestehenden >Lewy-Bodies< benannt, die er 1912 in den Gehirnen von Parkinson-Patienten entdeckt hatte. 8 Zwei weitere Gastforscher waren Hans-Gerhard Creutzfeldt und Alfons Jakob. Unabhängig voneinander beschrieben sie die nach ihnen benannte tödliche Viruskrankheit. Alzheimer machte jeden Morgen und Nachmittag die Runde entlang der zwanzig Arbeitsplätze, immer mit einer Zigarre, rückte sich einen Schemel heran, nahm sich die Zeit zu erklären, was dort zu sehen war, und ging weiter, eine Spur aus Zigarrenstummeln hinterlassend. Er arbeitete nicht nur ohne Gehalt, sondern übernahm auch die Kosten für die Arbeit von Zeichnern und Fotografen und die Anschaffung von Geräten.
    Er selbst konzentrierte sich auf ein Forschungsprogramm, das Leiden wie Epilepsie, Schizophrenie, die Chorea von Huntington
    und Multiple Sklerose mit Abweichungen im Nervensystem verbinden sollte. Aber sein Spezialgebiet war die progressive Para-lyse<, ein Krankheitsbild, das in psychiatrischen Einrichtungen großer Städte für dreißig bis vierzig Prozent der Aufnahmen verantwortlich war. Progressive Paralyse< oder >dementia paralytica< entstand, wie jetzt bekannt ist und damals schon vermutet wurde, infolge einer Syphilisinfektion. Sie traf Männer zwei- bis dreimal häufiger als Frauen, Soldaten öfter als Geistliche, Junggesellen öfter als Verheiratete. Alzheimer hatte in Frankfurt ab 1888, also direkt nach seiner Ankunft, bis zu seinem Weggang im Jahr 1903 nicht weniger als 320 Fälle untersucht. 9 Genau wie bei Auguste führte er lange Gespräche mit seinen Patienten und erteilte währenddessen beiläufig kleine Aufträge, um Gedächtnis, Konzentration und Abstraktionsvermögen zu testen. Nach ihrem Tod führte er eine Sektion des Gehirns und Rückenmarks durch. Progressive Paralyse ist die Folge schwerwiegender, aber diffuser Schäden am Nervensystem - im Volksmund >Gehirnerweichung< und Rückenmarkschwindsucht genannt -, die sich in untereinander stark variierenden klinischen Bildern äußern. Alzheimer: »Gedächtnis und Urteil, Gefühl und Willen leiden von vornherein. Der Kranke wird immer mehr losgelöst von der

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