Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Schulden gehabt oder etwas Ähnliches, ich bin nur ein wenig verwirrt, Sie dürfen mir nicht böse sein.<« 17 Das Gehirn aller vier Patienten wurde einer gründlichen pathologischen Untersuchung unterworfen. Der energische Italiener ließ Gewebeschnitte aus allen Teilen des Gehirns anfertigen, vom Frontallappen bis zum Cerebellum, von der Spitze bis zum Stamm, und testete allein schon etwa zwanzig Varianten von Färbemethoden. Immer wieder fand er die Plaques und Knäuel, die Alzheimer beschrieben hatte.
Auch Alzheimer selbst suchte weiter. Im November 1907 wurde ein Patient mit den gleichen klinischen Symptomen wie Auguste in seine Klinik eingeliefert. Alzheimer beobachtete diesen Mann, Johann Feigl, einen sechsundfünfzigjährigen Tagelöhner, bis zu dessen Tod. 18 Auch bei ihm waren manche Automatismen anfangs noch intakt. Das Vaterunser schaffte er bis zur Hälfte. Er konnte seinen Mantel zuknöpfen und auf Alzheimers Bitte hin ein Zündholz anreiben und mit diesem eine Zigarre anzünden, aber als er noch kein halbes Jahr später vor dieselbe Aufgabe gestellt wurde, rieb er die Zigarre hilflos an einer Streichholzschachtel. Ein paar Notizen von Alzheimer: 5. Mai 1908. »Andere Kranke haben ihn Singen gelehrt. Singt auf Aufforderung: > Wir sitzen so fröhlich zusammen«. Dabei muss ihm der Text immer wieder vorgesagt werden, die Melodie trifft er ziemlich richtig.« - 12. Juni 1908. »Im Garten geht er, ohne sich aufhalten zu lassen, so lange man ihn gewähren lässt, im raschen Tempo, obwohl er völlig in Schweiß gebadet ist, immer einen kreisförmigen Weg herum, wobei er ständig die langen Schöße seines Rockes um die Hand wickelt und krampfhaft zusammenhält. Im Bett macht er das gleiche mit der Bettdecke.« - 14. Dezember 1908. »Lässt Kot und Urin unter sich, wo er gerade ist. Spricht gar nicht mehr; ist immer mit seinem Bett oder seinem Kittel beschäftigt. Singt noch, wenn andere anfangen, >Wir sitzen so fröhlich beisammen.«« -3. Oktober 1910. »Tod unter pneumonischen Erscheinungen.« 19
Alzheimer führte die Sektion eigenhändig durch. Vor allem die Windungen des Stirnhirns und des Scheitel- und Schläfenlappens waren erheblich verschmälert: »die Furchen klafften«. 20 Das Sektionsbuch vermeldet - in Alzheimers Handschrift - auch die Diagnose des unglückseligen Tagelöhners: >Alzheimersche Krankheit.« Dieses Eponym hatte Alzheimer Kraepelin zu verdanken und empfand es als zweifelhafte Ehre.
DER LINNAEUS DER PSYCHIATRIE
Seine akademische Laufbahn verfolgte Alzheimer mit souveräner Lässigkeit. Als er mit dreiundzwanzig seine Doktorarbeit abschloss, lag er noch gut in der Zeit, aber seine Habilitationsschrift konnte er erst mit vierzig präsentieren. Das war mindestens zehn Jahre zu spät. Auch einflussreiche Posten außerhalb der Universität scheinen ihn nicht besonders interessiert zu haben. Diese unbekümmerte Lebenseinstellung konnte er sich einerseits durch sein Privatvermögen erlauben, andererseits entsprach sie ganz seinem Charakter. Bezeichnend ist der Großmut, mit dem er in seinen Artikeln immer wieder anderen Anerkennung zollte, obwohl er sie für sich selbst hätte beanspruchen können. Die Ehre gebührte Perusini, der so gründliche pathologische Untersuchungen durchführte, Nissl, der diese wunderbaren Färbetechniken entwickelte, Bonfiglio, der 1908 einen vergleichbaren Fall beschrieb, Fischer, der 1907 abweichende Herde in der Gehirnrinde fand, Redlich, der, so hatte Alzheimer entdeckt, schon 1898 im Gehirn seniler Patienten Plaques vorfand. Sobald ihn selbst Ehrungen zu ereilen drohten, hob er die Leistungen anderer hervor: seiner Kollegen, Mitarbeiter, Vorgänger. Dass Alzheimer im Zentrum der Neurologie forschen konnte und seine Arbeit auch in der Öffentlichkeit so bekannt wurde, wie sie es verdiente, war nicht ihm selbst zu verdanken, sondern dem Mann, der so manche deutsche Karriere entscheidend gefördert hat: Kraepelin.
Kraepelin war in allem das genaue Gegenteil von Alzheimer. Der acht Jahre ältere Emil Kraepelin hatte sich schon als Student vorgenommen, vor Vollendung seines dreißigsten Lebensjahrs Professor zu sein, und er wurde es auch. Alzheimer gelang dies erst mit achtundvierzig. Kraepelin heiratete sich nicht reich, man könnte fast sagen, das Gegenteil war der Fall: 1883 schrieb er mit siebenundzwanzig ein Lehrbuch der Psychiatrie, um von den Einnahmen endlich das Mädchen heiraten zu können, mit dem er schon seit seinem fünfzehnten Lebensjahr verlobt
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