Geisterbahn
zwischen seine Beine und zerkratzte ihm mit solcher Raserei das Gesicht, daß er von ihr abließ. Danach war sie gewarnt, hielt ständig nach dem ersten Anzeichen eines solchen Anfalls Ausschau und wußte sich schlecht und recht zu verteidigen.
Zena arbeitete hart an ihrer Ehe, versuchte, sie trotz des explosiven Temperaments ihres Gatten zu retten. Es gab zwei Conrad Strakers; sie haßte und fürchtete den einen, liebte aber den anderen. Der erste Conrad war ein grübelnder, pessimistischer, zur Gewalttätigkeit neigender Mann, so unberechenbar wie ein Tier, mit einem schockierenden Talent und Geschmack für Sadismus. Der zweite Conrad war freundlich, aufmerksam, sogar charmant, ein guter Liebhaber, intelligent und kreativ. Eine Zeitlang glaubte Zena, daß sie ihn mit viel Liebe, Geduld und Verständnis ändern konnte. Sie war überzeugt, daß die angsteinflößende Persönlichkeit des Mr. Hyde völlig verschwinden und Conrad sich mit der Zeit beruhigen und nur noch der gute Dr. Jekyll sein würde. Doch je mehr Liebe und Verständnis sie ihm schenkte, desto häufiger wurde er gewalttätig und ausfallend, als sei er entschlossen, ihr zu beweisen, daß er ihrer Liebe nicht würdig war.
Sie wußte, daß er sich selbst verachtete. Seine Unfähigkeit, mit sich selbst ins reine zu kommen, die Frustration, die von seinem unheilbaren Haß auf sich selbst erzeugt wurde -das war die Wurzel seiner regelmäßig wiederkehrenden wahnsinnigen Wutanfälle. Vor langer, langer Zeit war ihm irgend etwas Ungeheuerliches zugestoßen, in seinen prägenden Lebensjahren, eine unaussprechliche Kindheitstragödie, die ihm so tiefe Narben zugefügt hatte, daß nichts, nicht mal Zenas Liebe, ihn heilen konnte.
Irgendein entsetzlicher Vorfall in der fernen Vergangenheit, eine schreckliche Katastrophe, für die er sich verantwortlich fühlte, bescherte ihm in jeder Nacht seines Lebens schlimme Träume. Er wurde von einer unstillbaren Schuld verzehrt, die sich Jahr um Jahr mit unverminderter Helligkeit bei ihm eingebrannt und sein Herz Stück für Stück in bittere Asche verwandelt hatte. Zena hatte oft versucht, das Geheimnis in Erfahrung zu bringen, das an Conrad nagte, doch er hatte Angst gehabt, es ihr zu sagen, Angst, die Wahrheit würde sie abstoßen und sie auf ewig gegen ihn aufbringen. Sie hatte ihm versichert, nichts, was er ihr erzählte, könne sie dazu bringen, ihn zu verabscheuen. Es hätte ihm gutgetan, endlich jemandem sein Herz auszuschütten. Aber er konnte es einfach nicht. Zena bekam nur eins heraus: Das Ereignis, das ihn verfolgte, hatte sich am Heiligabend zugetragen, als er erst zwölf Jahre alt gewesen war. Von dieser Nacht an war er ein anderer Mensch gewesen; von Tag zu Tag war er immer verdrossener und zunehmend gewalttätiger geworden. Nachdem Ellen ihm sein ersehntes Kind geschenkt hatte, war Conrad für eine kurze Weile besser mit sich klargekommen - obwohl das Baby schrecklich mißgestaltet gewesen war. Doch als Ellen das Kind getötet hatte, war Conrad noch tiefer in Selbsthaß und Verzweiflung versunken, und es war unwahrscheinlich, daß jemand ihn aus der Grube ziehen konnte, in die er sich selbst gestürzt hatte.
Nachdem Zena zwei Jahre um den Erhalt ihrer Ehe gekämpft und die gesamte Zeit über in Angst vor Conrads Zorn gelebt hatte, wurde ihr schließlich klar, daß eine Scheidung unvermeidbar war. Sie verließ ihn, aber sie verkehrten noch freundschaftlich miteinander. Sie hatten gewisse Bande gemeinsam, die nicht zerrissen werden konnten, aber ihnen beiden war klar, daß sie gemeinsam kein glückliches Leben führen konnten. Sie fuhren auf dem Karussell rückwärts.
Während Zena nun beobachtete, wie Conrad seine Wut an dem Tisch ausließ, wurde ihr klar, daß der Großteil ihrer Liebe für ihn, wenn nicht sogar alles davon, sich in Mitleid verwandelt hatte. Sie verspürte keine Leidenschaft mehr nur noch eine beständige Sorge um ihn.
Conrad fluchte, wetterte durch blutlose Lippen, schnaubte, schlug auf den Tisch.
Der Rabe schlug mit seinen leuchtenden schwarzen Schwingen und kreischte schrill in seinem Käfig.
Zena wartete geduldig.
Mit der Zeit wurde Conrad müde und hielt damit inne, auf die Tischplatte zu schlagen. Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und blinzelte benommen, als wisse er nicht genau, wo er sei.
Nachdem er eine Minute lang geschwiegen hatte, verstummte auch der Rabe, und Zena sagte: »Conrad, du wirst Ellens Kind nicht finden. Warum gibst du nicht einfach
Weitere Kostenlose Bücher