Geisterbahn
auf?«
»Niemals«, sagte er etwas heiser.
»Seit zehn Jahren hast du einen Haufen Privatdetektive darauf angesetzt. Einen nach dem anderen. Mehrere gleichzeitig. Du hast ein kleines Vermögen für sie zum Fenster rausgeworfen. Und sie haben nichts gefunden.
Keinen einzigen Hinweis.«
»Sie waren alle unfähig«, sagte er verdrossen.
»Seit Jahren suchst du nun auf eigene Faust nach ihnen. Erfolglos.«
»Ich werde finden, was ich suche.«
»Heute hast du dich schon wieder geirrt. Hast du wirklich geglaubt, du würdest ausgerechnet hier über ihre Kinder stolpern? Im Kohlenland, Coal County, Pennsylvania? Ziemlich unwahrscheinlich, wenn du mich fragst.«
»So wahrscheinlich wie jeder andere Ort.«
»Vielleicht hat Ellen nicht mal lange genug gelebt, um mit einem anderen Mann eine Familie zu gründen. Hast du mal daran gedacht? Vielleicht ist sie schon längst tot.«
»Sie lebt.«
»Das kannst du nicht wissen.«
»Ganz bestimmt.«
»Selbst wenn sie lebt, hat sie vielleicht keine Kinder.«
»Sie hat welche. Sie sind da draußen - irgendwo.«
»Verdammt, du hast nicht den geringsten Grund, dir so sicher zu sein!«
»Ich habe Zeichen gesehen. Omen.«
Zena sah in seine kalten, kristallblauen Augen und erschrak. Zeichen? Omen? War Conrad noch immer nur halb verrückt, oder war er jetzt völlig durchgedreht?
Der Rabe klopfte mit dem Schnabel gegen die Metallstäbe seines Käfigs.
»Und was«, sagte Zena, »wenn du durch irgendein Wunder Ellens Kinder finden solltest?«
»Das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Sag's mir noch mal«, erwiderte sie und beobachtete ihn genau.
»Ich will ihren Kindern sagen, was sie getan hat«, erklärte Conrad. »Sie sollen wissen, daß sie ein Baby ermordet hat. Ich will sie gegen sie aufbringen. Ich will meine ganze Macht als Ausrufer einsetzen, um sie zu überzeugen, daß ihre Mutter ein schlechter, verachtenswerter Mensch ist, die schlimmste Verbrecherin überhaupt. Eine Kindermörderin. Ich werde sie dazu bringen, sie so sehr zu hassen, wie ich sie hasse. Ja, ich werde ihr ihre Kinder sogar wegnehmen, wenn auch nicht so brutal, wie sie mir meinen kleinen Jungen genommen hat. «
Wie immer, wenn er darüber sprach, Ellens Vergangenheit ihrer Familie bloßzulegen, sprach Conrad voller Leidenschaft.
Wie immer klangen seine Worte wie eine hohle Phantasie.
Und wie immer spürte Zena, daß er log. Sie war überzeugt, daß er etwas anderes im Sinn hatte, einen Racheakt, der noch brutaler war als das, was Ellen vor fünfundzwanzig Jahren diesem seltsamen, beunruhigenden, mutierten Baby angetan hatte.
Falls Conrad vorhatte, Ellens Kinder zu töten, wenn (und falls) er sie fand, wollte Zena nichts damit zu tun haben. Sie wollte keine Komplizin bei einem Mord sein.
Und doch unterstützte sie ihn weiterhin bei seiner Suche. Sie half ihm lediglich, weil sie nicht glaubte, daß er jemals fand, worauf er es abgesehen hatte. Sie war nicht der Ansicht, daß sie Schaden anrichten konnte, wenn sie ihm half; sie hielt ihn lediglich bei Laune. Das war alles.
Seine Suche war hoffnungslos. Er würde Ellens Kinder niemals finden, falls sie überhaupt welche hatte.
Conrad wandte den Blick von ihr ab und schaute zu dem Raben.
Der Vogel fixierte ihn mit einem seiner öligen schwarzen Augen, und als ihre Blicke sich trafen, erstarrte der Rabe.
Draußen, auf dem Mittelgang, erklang Dampforgelmusik. Die hunderttausend Geräusche der Menge, die den Jahrmarkt am letzten Abend an diesem Ort besuchte, verschmolzen zu einem rhythmischen Gemurmel, das wie der Atem eines riesigen Ungeheuers klang.
In der Ferne lachte und lachte der riesige, mechanische Clown der Geisterbahn.
3
Als Amy um Viertel nach zwölf das Haus betrat, hörte sie in der Küche gedämpfte Stimmen. Sie dachte, ihr Vater sei noch wach, obwohl er am Samstagabend normalerweise früh zu Bett ging, um rechtzeitig zur ersten Sonntagsmesse aus den Federn zu kommen. Auf diese Weise stand ihm der Rest des Tages für sein Hobby zur Verfügung das Bauen von Miniaturen für eine Modelleisenbahn. Als Amy in die Küche kam, fand sie dort nur ihre Mutter vor.
Die Stimmen kamen aus dem Radio; es war auf einen Sender aus Chicago eingestellt, der gerade eine TelefonTalkshow übertrug, und die Lautstärke war heruntergedreht.
Der Raum roch schwach nach Knoblauch, Zwiebeln und Tomatenpaste.
Er war nicht besonders hell erleuchtet. Eine Glühbirne brannte über der Spüle, und über dem Herd war das Licht der Haube eingeschaltet. Die
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