Geisterbahn
Gunther, daß Conrad zu ihm hochsah, und drehte sich um und bedachte ihn mit einem besonders finsteren Knurren.
Der Eigentümer der Geisterbahn grinste. Er bildete mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand einen Kreis und gab Gunther ein anerkennendes Zeichen.
Gunther tollte im unbeholfenen Freudentanz eines Ungeheuers auf der Plattform herum.
Die Leute, die darauf warteten, die Gondeln besteigen zu können, lachten und applaudierten der Aufführung des Monstrums.
Mit einem feinen Gespür für theatralische Effekte wurde Gunther plötzlich wieder bösartig und brüllte sein Publikum an. Ein paar Mädchen schrien.
Gunther bellte, schüttelte wild den Kopf, er schnaubte und stampfte mit dem Fuß und zischte und winkte mit den Armen. Kein Zweifel: er hatte Spaß an seiner Arbeit.
Lächelnd wandte Straker sich von der Geisterbahn ab und begab sich in den Menschenstrom, der über den Mittelgang floß. Auf dem Weg zu Zenas Zelt verblich sein Lächeln. Er dachte an das dunkelhaarige, dunkeläugige Mädchen, das er vor kurzem von der Ausrufer-Plattform aus gesehen hatte. Vielleicht war sie das Kind, das er suchte. Vielleicht war sie Ellens Tochter. Nach all den Jahren erfüllte ihn der Gedanke daran, was sie seinem kleinen Jungen angetan hatte, immer noch mit heftigem Zorn. Die Aussicht auf Rache ließ sein Herz schneller schlagen und sein Blut voller Erregung durch die Adern rasen. Lange, bevor er Zenas Zelt erreichte, hatte sein Lächeln sich in ein Stirnrunzeln verwandelt.
Zena trug ein rot-schwarzes Gewand, ein sternbesätes Kopftuch, eine Menge Ringe und zuviel Mascara. Sie saß allein in dem schwach erhellten Zelt und wartete auf Conrad. Vier Kerzen brannten gleichmäßig in vier verschiedenen Zylindern und warfen einen orangefarbenen Schein, der nicht in die Ecken reichte. Die einzige andere Lichtquelle war die beleuchtete Kristallkugel, die mitten auf dem Tisch lag.
Musik, aufgeregte Stimmen, das Geschrei der Ausrufer und das Klappern der Karussells und Bahnen drang von draußen durch die Segeltuchwände herein.
Links vom Tisch befand sich ein großer Käfig. Der Rabe darin hatte den Kopf auf die Seite gelegt und ein leuchtendes schwarzes Auge auf die Kristallkugel gerichtet.
Zena, die sich Madame Zena nannte und behauptete, Zigeunerin mit übersinnlichen Kräften zu sein, hatte keinen Tropfen Romablut in ihren Adern und wußte von der Zukunft nicht mehr, als daß die Sonne am nächsten Tag auf- und wieder untergehen würde. Sie war von polnischer Herkunft. Ihr voller Name lautete Zena Anna Penetsky.
Sie war seit achtundzwanzig Jahren auf dem Rummel, seitdem sie fünfzehn war, und hatte sich nie nach einem anderen Leben gesehnt. Sie mochte das Reisen, die Freiheit und die Schausteller.
Doch gelegentlich wurde sie es leid, den Leuten zu wahrsagen, und erregte sich über die endlose Leichtgläubigkeit der Kunden. Sie kannte tausend Möglichkeiten, einen Kunden auszunehmen, tausend Möglichkeiten, ihn zu überzeugen (nachdem er bereits dafür gezahlt hatte, daß sie ihm aus der Hand las), noch ein paar Dollar für einen angeblich besonders tiefen Blick in seine Zukunft springen zu lassen. Die Leichtigkeit, mit der sie Menschen manipulierte, brachte sie in Verlegenheit. Sie sagte sich, daß ihr Tun in Ordnung sei, weil es nur Fremde waren, keine Schausteller, und daher keine richtigen Leute. Das war die traditionelle Einstellung der Schausteller, die alle Kirmesbesucher >Deppen< und >Schussel< nannten, aber Zena konnte nicht immer so hart sein. Dann und wann machten ihr die Schuldgefühle so sehr zu schaffen, daß sie mit dem Gedanken spielte, das Wahrsagen aufzugeben.
Sie konnte sich ja einen Partner ins Geschäft holen, jemanden, der Erfahrung mit der Handlese-Masche hatte. Dann würde sie die Einnahmen zwar teilen müssen, aber das bereitete ihr keine Probleme. Ihr gehörte auch eine Wurfbude und eine sehr profitable Imbißbude, und nach Abzug der Gemeinkosten und Steuern verdiente sie jährlich mehr als ein halbes Dutzend >Schussel<, die sich bei ihr die Zukunft vorhersagen ließen, gemeinsam mit ihren langweiligen Jobs in der normalen Welt. Aber sie spielte weiterhin die Zigeunerwahrsagerin, weil sie irgend etwas tun mußte; sie konnte sich nicht einfach zurücklehnen und es ruhig angehen lassen.
Mit fünfzehn Jahren war sie schon eine körperlich reife Frau gewesen, und sie hatte ihre Karriere auf dem Jahrmarkt als Tänzerin begonnen. Immer, wenn sie heutzutage unzufrieden mit ihrer Rolle als
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