Geisterbahn
wirklich treffender Name.« Sie grinste niederträchtig. »Denn Richie weiß genau, wie man ihn einfährt.«
Richie errötete.
Liz lachte. »Ich werde nur was von diesem Film mitkriegen«, sagte sie, »wenn wir ein paar Spiegel installieren, die ihn an den Himmel des Wagens projizieren.«
»Liz, du bist schrecklich«, sagte Amy.
»Findest du mich schrecklich?« fragte Liz den Jungen.
»Ich finde dich toll«, sagte Richie und wagte es, einen Arm um ihre Taille zu legen. Er wirkte noch immer etwas schüchtern, auch wenn es Liz tatsächlich gelungen war, ihm Sex und Drogen nahezubringen.
Liz sah Amy an. »Siehst du? Er findet mich toll, und er war der Klassenbeste. Was weißt du also schon davon?«
Amy mußte unwillkürlich lächeln.
»Hör zu«, sagte Liz, »ruf mich an, wenn du bereit bist, wieder zu leben anzufangen, wenn du es leid bist, die keusche Nonne zu spielen. Dann treib' ich jemanden für dich auf, und wir verabreden uns gemeinsam.«
Amy sah Liz und Richie nach, als sie hinausgingen und in den gelben Celica stiegen. Liz setzte sich hinter das Steuer. Sie fuhr so schnell an, daß die Reifen gequält aufkreischten und alle Gäste im Dive zu den Fenstern hinausschauten.
Nachdem Amy um zwanzig vor sieben das Lokal verlassen hatte, begab sie sich nicht direkt nach Hause. Über eine Stunde lang wanderte sie ziellos herum, ohne die Schaufensterauslagen der Läden richtig zu sehen, an denen sie vorbeikam, ohne auf die Häuser zu achten, die sie passierte, ohne den frischen Frühlingsabend zu genießen. Sie ging einfach spazieren und dachte über die Zukunft nach.
Als sie um acht Uhr nach Hause kam, war ihr Vater in der Werkstatt. Ihre Mutter saß am Küchentisch und blätterte eine Zeitschrift durch, lauschte einer Radiosendung, bei der Hörer anrufen konnten, und nippte an Wodka mit Orangensaft.
»Wenn du auf der Arbeit nichts gegessen hast«, sagte Mama, »im Kühlschrank steht kaltes Roastbeef.«
»Danke«, sagte Amy, »aber ich habe keinen Hunger. Ich habe viel zu Mittag gegessen.«
»Wie du willst«, sagte Mama und schaltete das Radio lauter.
Amy nahm dies als Zeichen, daß sie entlassen war. Sie ging nach oben.
Sie verbrachte eine Stunde mit Joey und spielte mit ihm Rommé bis fünfhundert Punkte, sein liebstes Kartenspiel.
Der Junge schien nicht bei der Sache zu sein. Er war nicht mehr der alte, überschwengliche Joey, seit Mama ihn gezwungen hatte, seine Monstermodelle und Poster wegzuwerfen. Amy bemühte sich, ihn zum Lachen zu bringen, und er lachte auch, aber seine gute Laune kam ihr wie eine Fassade vor. Darunter war er verkrampft, und sie fand es schrecklich, ihn so zu sehen, wußte aber nicht, wie sie an ihn herankommen und ihn wirklich aufheitern konnte.
Später, auf ihrem Zimmer, stellte sie sich wieder nackt vor den großen Spiegel. Sie betrachtete ihren Körper mit kritischen Blicken und versuchte herauszufinden, ob sie wirklich mit Liz mithalten konnte. Ihre Beine waren lang und ziemlich gut geformt. Ihre Schenkel waren straff, die Nuancierung der Muskeln war im gesamten Körper hervorragend. Ihr Hintern war rund und gewissermaßen keck, sehr fest. Ihr Bauch war nicht nur flach, sondern leicht konkav. Ihre Brüste waren nicht so groß wie die von Liz, aber auch nicht gerade klein, und sie waren äußerst gut geformt, spitz und mit großen, dunklen Warzen.
Es war eindeutig ein Körper, der sich sehen lassen konnte, der einen Mann problemlos anziehen und befriedigen würde. Der Körper einer Kurtisane? Der Körper einer, wie Liz es ausgedrückt hatte, intimen Begleiterin? Die Beine und Hüften und Arschbacken und Brüste einer Hure? War sie dazu geboren worden? Sich zu verkaufen? War eine Zukunft als Prostituierte unvermeidbar? War es irgendwie ihr Schicksal, Tausende verschwitzter Nächte damit zu verbringen, völlig Fremde in Hotelzimmern zu umarmen?
Liz hatte gesagt, sie sehe Verdorbenheit in Amys Augen.
Mama hatte dasselbe behauptet. Für Mama war diese Verdorbenheit ein monströses, böses Ding, das unter allen Umständen unterdrückt werden mußte; für Liz hingegen war es nichts, wovor man Angst haben, sondern etwas, das man umarmen mußte. Es konnte keine zwei Menschen geben, die gegensätzlicher als Liz und Mama waren, und doch stimmten sie in der Meinung überein, was in Amys Augen zu sehen war.
Ausdauernd betrachtete Amy ihr Ebenbild im Spiegel, spähte in die Fenster ihrer Seele; obwohl sie angestrengt hinschaute, konnte sie nicht mehr ausmachen als die
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