Geisterbahn
eigenschaftslosen Oberflächen zweier dunkler und ziemlich hübscher Augen; sie konnte weder die Abgründe der Hölle noch die Gnade des Himmels sehen.
Sie war einsam, frustriert und schrecklich verwirrt. Sie wollte sich verstehen. Mehr als alles andere wollte sie die richtige Rolle für sich auf der Welt finden, so daß sie sich zum erstenmal in ihrem Leben nicht hoffnungslos fehl am Platz fühlte.
Wenn ihre Hoffnung, aufs College zu gehen, und ihr Traum, Künstlerin zu werden, unrealistisch waren, wollte sie nicht jahrelang für etwas kämpfen, was nicht für sie bestimmt war. Ihr Leben war schon allzulange ein anstrengender Kampf gewesen.
Sie berührte ihre Brüste, und die Warzen sprangen sofort hoch, steif, stolz, so groß wie die Spitzen ihrer kleinen Finger. Ja, das war böse, eine Sünde, wie Mama sagte, und doch fühlte es sich so gut an, so süß.
Wenn sie nur sicher sein könnte, daß Gott sie erhören würde, würde sie niederknien und ihn um ein Zeichen bitten, ein unwiderlegbar heiliges Zeichen, das ihr ein für allemal verraten würde, ob sie ein guter oder ein schlechter Mensch war. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, daß Gott sie nach dem, was sie dem Baby angetan hatte, erhören würde.
Mama sagte, sie sei verdorben, etwas Böses lauere in ihr, und sie habe die Zügel losgelassen, die dieses Etwas zurückgehalten hatten. Mama sagte, sie habe das Potential, böse zu sein. Und eine Mutter sollte so etwas eigentlich von ihrer Tochter wissen.
Oder etwa nicht?
Bevor Joey zu Bett ging, zählte er wieder das Geld in seiner Spardose. Im letzten Monat hatte er dem Inhalt des Krugs zwei Dollar und fünfundneunzig Cent hinzugefügt, und nun besaß er genau zweiunddreißig Dollar.
Er fragte sich, ob er auf dem Jahrmarkt jemanden bestechen würde müssen, damit er mitkommen durfte, wenn die Schausteller die Stadt verließen. Er schätzte, daß er mindestens zwanzig Dollar brauchte, sich über Wasser zu halten, bis er das erste Geld als Schaustellergehilfe verdienen konnte, indem er den Elefanten hinterherputzte, oder was für eine Arbeit auch immer ein Zehnjähriger auf dem sogenannten Mittelgang fand. Damit blieben ihm als Bestechungsgeld also nur zwölf Mäuse.
Würde das reichen? Er entschloß sich, seinen Vater um zwei Dollar für die Vorstellung im Rialto am Sonntag nachmittag zu bitten.
Dieses Geld würde er dann in Wirklichkeit gar nicht für das Kino ausgeben. Er würde zu Tommy Culp gehen und mit ihm spielen und behaupten, er hätte die Filme gesehen, wenn Daddy sich danach erkundigte, und die zwei Dollar seinem Fluchtgeld hinzufügen.
Er stellte die Spardose auf den Schreibtisch zurück. Als er seine Gebete sprach, bevor er zu Bett ging, bat er Gott zu verhindern, daß Mama sich betrank und wieder auf sein Zimmer kam.
Am nächsten Tag, einem Sonntag, rief Amy ihre Freundin an.
»Hallo«, sagte Liz.
»Hier ist die keusche Nonne«, sagte Amy.
»Oh, hallo, Nonne.«
»Ich habe mich entschlossen, das Kloster zu verlassen.«
»Halleluja!«
»Hier im Kloster ist es kalt und zugig.«
»Und bestimmt auch langweilig«, sagte Liz.
»Was hast du für mich, das ich nicht langweilig finden werde?«
»Wie wäre es mit Buzz Klemmet?«
»Den kenne ich nicht«, antwortete Amy.
»Er ist achtzehn, bald neunzehn, glaube ich. Er war eine Klasse vor uns ...«
»Ah, ein älterer Mann!«
»... ist aber im siebten Schuljahr abgegangen. Er arbeitet an der Arco-Tankstelle
Ecke Main und Broadway.«
»Du suchst dir ja immer tolle Typen aus«, sagte Amy sarkastisch. »Er hört sich vielleicht nicht gerade toll an«, sagte Liz, »aber warte, bis du ihn
siehst. Er ist ein stattlicher Brocken.«
»Ein Brocken wovon?«
»Fast nur Muskeln.«
»Kann er sprechen?«
»Es reicht gerade.«
»Kann er seine Schnürsenkel zubinden?«
»Da bin ich mir nicht sicher«, sagte Liz. »Aber er trägt normalerweise Slipper, so daß du dir darüber keine Sorgen machen mußt.«
»Ich hoffe nur, du weißt, was du tust.«
»Vertrau mir«, sagte Liz. »Er wird dir gefallen. Für welchen Abend soll ich die Verabredung treffen?«
»Spielt keine Rolle«, erwiderte Amy. »Ich arbeite in der Tagschicht.«
»Morgen abend?«
»Prima.«
»Wir gehen also zu viert aus«, sagte Liz. »Ich und Richie, du und Buzz.«
»Wohin wollen wir gehen?«
»Zu mir, würde ich vorschlagen. Wir hören ein paar Schallplatten, sehen uns einen Film auf dem Videorecorder meiner Eltern an, drehen uns ein paar Joints. Ich hab' verteufelt
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