Geisterblues
passieren würden, doch dieser Gedanke bekam einen sauren Beigeschmack, als ich bemerkte, dass Desdemona Ben noch immer anschmachtete.
Navy, eine nette, hochschwangere Frau (sie war mit Armand, dem Dämonologen, verheiratet), betrat den Zirkel als Nächste. Sie setzte sich zwischen Mikaela und eine der Wicca-Hexen aus der Gegend. Meine Mutter zögerte einen Augenblick, als Ben, die letzte verbliebene Person, in den Kreis trat. Alle hielten für eine Sekunde den Atem an, aber wenn meine Mutter einmal einen Entschluss gefasst hat, zieht sie die Sache auch durch. Sie tupfte etwas von dem Öl auf Bens Stirn und sprach die Standardsegnung.
Doch plötzlich spürte ich eine Veränderung in dem Zirkel, wie ich sie nie zuvor wahrgenommen hatte. Es war, als wäre etwas aus einem langen Schlaf erwacht. Das Amulett, das ich unter meinem T-Shirt trug, erwachte warm und vibrierend zum Leben.
Fran? Was ist los?,
fragte Ben. Ich fühlte, wie seine Besorgnis mich gleich einer weichen Samtdecke einhüllte.
Nichts.
Ich versuchte zu ergründen, was mir so anders vorkam.
Irgendetwas beunruhigt dich. Was ist es?
Ich ging zu der Stelle, die meine Mutter mir zuwies, und setzte mich. Ben zögerte kurz, als sie ihm bedeutete, mir gegenüber auf der anderen Seite des Kreises Platz zu nehmen, gehorchte jedoch, als ich ihm einen mentalen Schubs gab.
Es ist nichts. Ich glaube, es liegt einfach nur an dieser Mitternachtssonne. Die bringt mich immer noch aus dem Konzept. Es ist einfach merkwürdig, mitten in der Nacht alles und jeden sehen zu können
.
Du wirst es mir sagen, wenn dich irgendetwas bedrückt
, erwiderte er mit seiner Befehlshaberstimme.
Ich schaute ihn an und verdrehte die Augen.
Nur weil ich eingewilligt habe, deine Freundin zu sein, gibt dir das noch lange nicht das Recht, mich herumzukommandieren
.
Oh doch. Du bist meine Auserwählte. Es ist meine Aufgabe, dich vor allem Übel zu beschützen
.
Na schön, ich gebe es zu, das rührte mich ein bisschen. Nicht seine Überheblichkeit – die ärgerte mich maßlos und hatte schon häufig zum Streit zwischen uns geführt, bevor Ben verschwunden und ich nach Schweden aufgebrochen war –, sondern sein aufrichtiges Bedürfnis, jeden Kummer von mir fernzuhalten. Ich hätte trotzdem wieder mit ihm debattiert, hätte meine Mutter nicht eine Handvoll getrockneter Lavendelzeige hervorgeholt und angefangen, mit ihnen den Kreis zu fegen.
Das ist das Reinigungsritual
, erklärte ich Ben, als sie entlang der Kreislinie ihre Runde drehte und jedermanns Füße mit dem Lavendel berührte.
Es dient dazu, den Zirkel von schlechten Einflüssen zu säubern
.
Warum streicht sie über unsere Füße?
Um auch uns zu reinigen. Es ist rein symbolisch. Meine Mutter sagt, dass viele Hexen Besen dafür benutzen, aber sie findet das zu profan. Sie bevorzugt Lavendel
.
»Wir werden nun mit der Beschwörung von Gott und Göttin beginnen«, verkündete sie, nachdem sie die Reinigung abgeschlossen hatte. »Normalerweise würde ich an dieser Stelle die vier Himmelsrichtungen anrufen, aber da unsere Brüder und Schwestern vom Asatru-Kult nicht weit von hier ein
Blót
abhalten, wollen wir ihre Energie nicht schwächen, indem wir ihre Aufmerksamkeit stören. Folglich werden wir uns darauf beschränken, Göttin und Gott einzuladen, an unserem Zirkel teilzunehmen.«
Jetzt kommt die Beschwörung
, informierte ich Ben.
Die Göttin in den Zirkel zu bitten bezeichnet man als
»
Herabziehen des Mondes
«
. Führt man dieselbe Handlung für den
männlichen Gott aus, spricht man vom
»
Herabziehen der Sonne
«
.
Hmm. Es gibt also nur zwei Götter?
Richtig. Sie stehen für die
männliche
und die weibliche Seite
.
Meine Mutter stand mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen im Zentrum des Kreises und sprach ihre Beschwörungsworte an die Göttin.
»Erde, Wasser, Feuer und Luft,
Elemente der Sterne, hört unser Gesuch.
Göttin und Mutter, komm ohne Verdruss
in unseren Zirkel gleich neben dem Bus!«
Ich blinzelte verdattert. Das war nicht der normale Wortlaut. Offenbar merkte auch meine Mutter, dass etwas nicht stimmte, denn sie öffnete die Augen und linste zu dem Bus, der in ein Wohnmobil für Desdemona umfunktioniert worden war. Sie schüttelte den Kopf, schloss abermals die Augen und konzentrierte sich.
»Bewahre vor Unheil unseren Kreis,
so wie ein Deo uns schützt gegen Schweiß.«
Jemand kicherte. Meine Mutter, die die Augen wieder geöffnet hatte, starrte mit gefurchten Brauen ins Leere.
Ähm
Weitere Kostenlose Bücher