Geisterfahrer
sich eine weitere Wespendrohne heranwagte, um sich ein Lächeln und ein höfliches, aber bestimmtes Kopfschütteln abzuholen.
»Ist die nicht eine Nummer zu groß für dich?«, fragte Kuhle, als ich ihm zögerlich gestand, mich für Melanie Schmöling zu interessieren. »Immerhin ist sie in unserer Jahrgangsstufe.«
»Sabrina ist zwei Stufen über uns.«
»Das mit Sabrina ist etwas anderes.«
»Inwiefern?«
»Mir ist völlig klar, dass sich Sabrina nie freiwillig mit jemandem
wie mir einlassen würde.« Es lag etwas Bitteres darin, wie er es sagte. »Aber ich kann es einfach nicht ändern, dass ich sie anbetungswürdig finde.«
»Anbetungswürdig.«
»Ja.«
Ich dachte einen Moment darüber nach, vor allem, wie ich das
Gespräch weiterführen könnte, ohne meinen Freund zu beleidigen.
»Immerhin bin ich älter als Melanie. Das ist was Anderes.«
Kuhle sah mich an. »Vielleicht hast du wirklich Chancen.« Er pausierte kurz. »Sie ist hübsch. Nicht so hübsch wie Sabrina. Aber sie ist hübsch.«
Ich nickte erleichtert.
Vor den Sommerferien sollte eine Schulfete stattfinden. Es hatte damit angefangen, dass eine Nachbarklasse um die Genehmigung für ein Klassenfest bat, und diese Nachricht führte dazu, dass sich der achte und zehnte Jahrgang komplett anschlossen. Die Mädchen einer zehnten Klasse gründeten ein Organisationskomitee, und es überraschte mich nicht wenig, dass sich fünf von ihnen in einer kleinen Pause in unseren Raum verirrten, auf unseren Tisch zuhielten und sich neben mir aufbauten, als wären sie eine Eskorte, die mich zur Hinrichtung führen würde. Tatsächlich erschrak ich, während Kuhle ein strahlendes Lächeln auflegte und »Was können wir für euch tun, Ladys?« fragte.
»Wir sind vom Organisationskomitee«, erklärte eine hochgewachsene, schlaksige Rothaarige. Ich nahm zur Kenntnis, dass die fünf Mädchen nicht sonderlich hübsch waren, aber es liegt in der Natur solcher Komitees, aus der zweiten Reihe besetzt zu werden, wodurch sich die Mauerblümchen ein besonderes Teilnahmerecht erwarben – statt nur am Rand der Turnhalle geduldet zu werden.
»Interessant«, sagte Kuhle, als hätte ihm jemand einen Aktientipp zugeflüstert.
»Wir wollten euch fragen, ob ihr die Musik übernehmen könntet.«
»Die Musik?«, echoten Kuhle und ich im Chor.
Die Rothaarige nickte, und die anderen vier taten es ihr gleich.
»Die Schule stellt eine Musikanlage, aber für einen Discjockey ist kein Geld da. Da haben wir gedacht.«
Sie ließ den Satz so enden.
»Wow«, sagte Kuhle.
Der einzige mir bekannte Discjockey war Ilja Richter, der bis vor drei Jahren die grausige Fernsehsendung »Disco« moderiert hatte, die jedes Jahr anders hieß, erst »Disco 71«, da war das Wort noch völlig neu, und zum Schluss »Disco 81«. Jedenfalls hatte sich der dürre Zappelphilipp »Discjockey« genannt, und für einen Moment sah ich mich in einem Bell-Bottom-Smoking einen affigen, operettenhaften Sketch mit Marianne Rosenberg spielen. Aber darum ging es nicht. Die Mädchen wollten, dass wir auflegten. Wie das der Typ in der Dachluke tat, der alkoholfreien Diskothek am Mehringdamm, in die einige meiner Mitschülerinnen gingen, was wir uns bis dato noch nicht getraut hatten. Nicht nur, weil Gunther Gabriel dort gelegentlich aufgelegt hatte. Sondern weil ich nichts ohne Kuhle tat, und Kuhle war noch nicht so weit, sich dieser Herausforderung zu stellen. Wir gingen in Kneipen, um bei Cola zu flippern, aber wir mieden die Teestuben, in denen all die Mädchen hockten, und natürlich auch die Dachluke.
»Wow«, schloss ich mich Kuhle an. Und sosehr mich der Gedanke auch schockierte, vor einigen hundert Mitschülern auf der Bühne zu stehen und Platten aufzulegen – was wenigstens technisch kein Problem mehr war, da wir uns aufgrund der günstigen Entwicklung unserer Tapegeschäfte inzwischen nur noch mit Originalen eindeckten –, so schlagartig wurde mir bewusst, dass, wenn es überhaupt eine Chance gab, an Melanie Schmöling heranzukommen, sie sich in diesem Moment auftat.
»Kein Problem, machen wir doch gerne«, sagte ich deshalb, wobei meine Ohren Feuer fingen.
»Super«, erklärte die Rothaarige, und das Komitee drehte sich wie ein obskures Synchronballett auf den Absätzen um und verschwand exakt mit dem Klingeln zum Stundenbeginn.
»Kein Problem?«, staunte Kuhle.
»Nee, warum auch? Es ist wie Tapemischen, nur mit Publikum. Das kriegen wir schon hin.«
»Kriegen wir?«
»Hast du Schiss?«
Herr Pirowski betrat das
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