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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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reichte, also aus altem Zeug bestand. Er liebte Titel wie »Me And Mrs. Jones« von Billy Paul, die etwas krautigen Hits von Sergio Mendes, die Balladen von James Taylor, die Alben von Jackson Browne, vor allem »Late For The Sky«. Unsere Mitschüler aber fuhren voll auf das ab, was »Neue Deutsche Welle« genannt wurde, Gekrähe wie »Ich will Spaß« von einem Typen, der genauso hieß wie mein verstorbener Vater, deshalb hatte die Sammlung für mich nur geringen Wert, Musik interessierte mich bis dahin nicht sonderlich.
    Das änderte sich, als ich in den Ferien und ab und zu an Samstagen in der Edeka-Filiale zu jobben begann, in der Ute immer noch arbeitete. Sie hatte das Angebot erst Frank gemacht, der inzwischen nur noch zum Essen erschien und zu meinem großen Erstaunen als Punker herumlief, als schweigsame, schwarze Person mit Irokesenschnitt und Rasierklinge um den Hals. Mit seiner dicken Brille im Buddy-Holly-Stil sah das sogar fast ein bisschen schick aus. Frank aber hatte nicht einmal geantwortet. Ebenso erging es ihr mit Mark, dessen Augen inzwischen tief in den Höhlen saßen und der so dürr geworden war, dass es schon ins Transparente ging. Mark ging mir aus dem Weg, so gut es das Zimmer zuließ, sein Blick war gehetzt, manchmal aber auch wie in Trance. Es schien niemanden in der Familie zu interessieren, auch nicht, dass er die achte Klasse wiederholen musste. Jens, dessen Kopfhaare sich inzwischen vollständig verkrümelt hatten, so dass er mit seinem roten Bart wie die Karikatur eines überschlanken Weihnachtsmannes aussah, saß nur noch vor der Glotze, wenn er zu Hause war, und er trank Bier, jetzt allerdings weit mehr als eine Flasche pro Woche.
    Der Job bei Edeka bestand in erster Linie darin, Waren in die Regale zu füllen. Der Marktleiter, ein kräftiger Mann mit gemütlicher Bassstimme und den größten Händen, die ich je an einem Menschen gesehen habe, bestückte die Rollwagen, die ich dann durch den Laden schob. Bei Lebensmitteln mit Verfallsdatum hatte ich dafür zu sorgen, dass die frischeren Waren hinter den älteren platziert wurden, und das war es dann auch schon. Manchmal half ich beim Entladen der Lieferwagen, und ein paarmal nahm ich an der Kasse Platz, um für wenige Minuten die Preise der Joghurts abzutippen, die die alten Menschen der Gegend kauften, neben einer 125-Gramm-Packung Schnittbrot, von dem sie auch noch die Hälfte wegwerfen würden, und einem halben Liter Vollmilch.
    Durch den Job kam ich zu etwas Geld. Natürlich hätte ich mich auch hier und da, etwa bei den Süßigkeiten, bedienen können, aber das tat ich nicht. Ich war sicher, dass es irgendein System gab, anhand dessen der Marktleiter herausfinden würde, wer die Tafel Milka-Schokolade oder die Packung Gummibärchen genommen hatte. Außerdem erlebte ich einige Male mit, wie er Ladendiebe stellte, und das war eine grausame Angelegenheit, viel schlimmer als alles, was ich bei Jens’ früheren Streifengängen hatte mit ansehen müssen. Mit dem Lächeln eines Haifischs, der im toten Winkel hinter seiner Beute herschwimmt, stand er vor dem Lagereingang und beobachtete über einen Konvexspiegel, wie die Delinquenten, meistens Jugendliche, gelegentlich auch mal ein älterer Herr, verschämt in alle Richtungen spähten, um sich gleichzeitig irgendwas unter die Klamotten zu schieben. Er schlenderte zur Kasse, wartete, bis der Dieb gezahlt oder den Gang am Fließband vorbei passiert hatte, und stellte sich dann einfach wortlos in den Weg. Natürlich rief er die Polizei, und die Gesichter der Jugendlichen beim Einsteigen in die grün-weißen VW-Busse waren nicht schön anzusehen.
    »Du klaust nicht«, fragte er mich einmal, wenn es denn eine Frage war, es klang nicht wie eine. Ich schüttelte den Kopf und sah ihm dabei in die Augen, was ihn offenbar beeindruckte. Seitdem gab er mir ab und zu etwas, eine Tafel Schokolade, eine Tüte Gummibärchen oder ein paar Mark extra.
    »Wir verstehen uns«, sagte er dann.
    Ein wenig befremdlich war es schon, mit Ute unter einem Dach zu arbeiten, aber tatsächlich hatten wir auch dort kaum Kontakt miteinander. Ihre Mittagspause verbrachte sie mit dem Marktleiter, die beiden gingen zusammen essen, irgendwo. »Die haben ein Verhältnis. Die tun es miteinander«, sagte Kuhle. Das schien mir einleuchtend, aber einzuordnen wusste ich es nicht. »Das ist Schweigegeld«, erklärte er nickend, wenn ich ihn einlud, mit dem Extra-Zwickel flippern zu gehen.
    Weil alle Mitschüler so was hatten,

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