Geisterfahrer
Klassenzimmer, aber Kuhle flüsterte noch: »Nein, keinen Schiss. Panik .«
In den nächsten Tagen kompensierten wir unsere Nervosität vor allem dadurch, dass wir uns Gedanken darüber machten, wie wir uns nennen sollten, denn natürlich war es völlig undenkbar, ohne einen griffigen Künstlernamen aufzutreten. Wir sammelten Vorschläge, die von »DJs K&K« über »DJ Tim & DJ Kuhle«, »Tim Köhrey und der coole Kuhlmann«, »The Tapers«, »Disco 84« bis hin zu »DJs Spejbl und Hurvinek« reichten. Mama Kuhlmann, die alle drei Monate Verwandte im Osten besuchte – ich hatte die DDR bis dato noch nicht von innen gesehen, und mir grauste vor dem Gedanken –, schlug vor, dass wir die dort übliche Abkürzung »SPU« nehmen sollten, die für »Schallplattenalleinunterhalter« stand, weil Anglizismen im Osten verpönt waren. Wenn man es englisch aussprach, klang der Name nicht schlecht: »Esspiejuh.«
»Cool«, sagte Kuhle. Das fand ich auch. SPU also. Darauf, dass wir ganz in Schwarz auftreten würden, hatten wir uns ohne große Diskussion geeinigt.
Mit seiner ersten Diagnose hatte Kuhle nicht falschgelegen, denn am Tag vor dem Fest wurde aus meiner Nervosität nackte Panik. Im Geist ging ich Plattenlisten durch, konnte nichts essen, musste andauernd zum Pinkeln aufs Klo, und daran, mir einen herunterzuholen, war im Traum nicht zu denken. Als wir am Samstagmittag vor der Fete die große Kiste mit den Platten zur Schule schleppten, war mir speiübel, ich hatte seit fast dreißig Stunden nicht mehr geschlafen, mein Oberkörper zitterte, und meine Augen waren leicht gerötet. Kuhle ging es ähnlich, er stierte in die Gegend, als würden ihn UFOs attackieren. Es war deutlich zu spüren, dass ein einziges Wort genügt hätte, und wir hätten die Plattenkiste in irgendeinem Hauseingang abgestellt und wären verkehrt herum über die Mauer geflüchtet. Aber wir schwiegen eisenhart, schleppten die große Holzbox, die Kuhles Vater aufgetrieben hatte, als würden wir uns selbst zu Grabe tragen. Es war nicht einfach Lampenfieber, es war Lampen brand . Wir waren völlig neben uns. Die Frage nach meinem Namen hätte ich nicht mehr spontan beantworten können. Mein schwarzes T-Shirt war durchgeschwitzt, Kuhle dampfte .
Die Party sollte um 17.00 Uhr beginnen, und um 22.00 Uhr würde sie enden, so oder so. Als wir eintrafen, luden Elternpaare Plastikschüsseln mit Kartoffelsalat auf bereitgestellte Tische, schleppten Schülerinnen Colakisten – in der ganzen Halle war kein männlicher Schüler zu sehen –, hing Herr Mahler, unser Sportlehrer, auf einer riesigen Leiter unter der Hallendecke, um den Knotenpunkt der Krepppapierbahnen, die von den Wänden zur Mitte reichten, zu befestigen. Überall lagen Luftballons und -schlangen, es gab Bänke am Hallenrand, eine große Discokugel neben der Stelle, an der Herr Mahler immer noch herumoperierte, und eine Bühne, einen halben Meter hoch. Daneben standen zwei gewaltige Boxen auf Gestellen, die größten Lautsprecher, die ich je gesehen hatte. Und auf der Bühne befand sich ein Tisch. Darauf eine Fünfkanal-Lichtorgel, ein Punktspot für die Discokugel, ein Mischpult, zwei Plattenspieler, ein Kopfhörer, ein Mikrofon.
»Lass uns abhauen«, zischte ich Kuhle zu. Der Schweiß lief mir von der Stirn ins Auge. Kuhle nickte.
»Super, dass ihr pünktlich seid«, rief jemand, die Rothaarige vom Organisationskomitee. Strahlend kam sie auf uns zugewackelt, sie trug hochhackige Schuhe. Das verblüffte mich so sehr, dass ich unsere Fluchtpläne sofort wieder vergaß. Kuhle zuckte mit den Schultern, und mit Hilfe von Herrn Mahler, der inzwischen erfolgreich ausdekoriert hatte, wuchteten wir die gut und gerne fünfhundert Singles und Maxi-Singles auf die Bühne. Wir hatten einfach alles mitgenommen.
»Da bin ich ja gespannt«, sagte er.
»Ich auch«, nuschelte Kuhle.
»Ihr seid die Mucke?«, fragte jemand, ein Typ etwa im Studentenalter, der eine Trainingshose und ein Unterhemd trug, dazu adidas-Turnschuhe ohne Socken. Kuhle nickte und sagte: »SPU.«
»Mucke«, flüsterte ich.
»Kommt ihr so zurecht oder soll ich euch was erklären?«
»Oder«, antwortete Kuhle. Sein Blick grenzte an Irrsinn.
Der Typ stellte sich vor das Mischpult, zeigte auf ein paar Regler und sagte: »Das ist der Master, bei zehn ist Schluss, oder wenn der Level zwei rote LEDs funkeln lässt. Auf eins liegt der linke Turntable, auf zwei der rechte, beides Schnellstarter. Die roten Buttons sind für die Vorhöre. Das Talkover
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