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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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für das Mikro ist im Eimer, aber ihr könnt es über den Fader für die drei einregeln. Hier ist der Regler für die Vorhöre. Zieht nicht so hoch. Hier unten steht der Amp. Mitte sollte genügen, geht nicht über sieben, sonst fliegen die Scheiben raus. Das Licht ist popelig, läuft über ein eingebautes Mikro. Strobo gab’s leider nicht. Hier ist der Schalter für den Nebel, sind fünf Literchen drin, sollte also reichen. Die Kugel rotiert die ganze Zeit, ihr müsst nur den Spot anmachen, dann effectet es. Alles klärchen?«
»Was?«, fragte Kuhle und fasste damit auf den Punkt zusammen, was in mir vorging.
»Ihr seid keine Profis, oder?«
Wir schüttelten synchron die Köpfe.
»Wisst ihr, was Vorhöre ist?«
Wir behielten das Kopfschütteln bei.
Er stöhnte, aber lächelnd. »Na, dann also noch mal für Fußgänger.«
Der Typ zündete sich eine Zigarette an, was ich beeindruckend fand, schließlich gab es nichts Verboteneres, als in der Turnhalle zu rauchen. Mit der Fluppe im Mundwinkel gab er uns anschließend einen Schnellkurs im Plattenauflegen. Er zog zwei Singles aus der Kiste, zeigte uns, was Vorhöre ist, wie man die Platten einstellt, so dass sie auf dem ersten Ton die richtige Geschwindigkeit haben, und all das. Wir hatten ganz Ähnliches getan, aber mit völlig anderen Mitteln. Nach ein paar Minuten begriff ich, worum es ging.
»Ihr kriegt das schon hin«, sagte er, schlug mir auf die Schulter, steckte sich die inzwischen vierte Zigarette an und ging. Es war kurz nach drei, wir hatten noch zwei Stunden.
»Gehen wir ein bisschen an die frische Luft«, schlug Kuhle vor.
Der Typ von der PA stand draußen, ein paar Schritte vom Schultor entfernt, und lehnte an einem Passat Kombi. Natürlich rauchte er wieder.
»Danke für die Einweisung«, sagte Kuhle.
»Kein Ding. Wollt ihr eine? Beruhigt die Nerven.«
Kuhle sah mich an, ich sah Kuhle an, blickte zum Schultor, es war niemand in der Nähe. Rauchen hatte nicht zu den Dingen gehört, die wir bisher ausprobiert hatten, weder in Kuhles noch in meiner Familie qualmte jemand.
Wir gingen hinter der Heckklappe des Kombis in Deckung und zündeten die Zigaretten an. Es war grauenhaft. Das Widerlichste, was ich bis dahin getan hatte. Nach ein paar Hustern wiederholte der Typ seine Frage von vor einer halben Stunde.
»Ihr seid keine Profis, oder?« Dabei lachte er.
Immerhin beruhigte es tatsächlich die Nerven. Ich fühlte mich, als wäre Watte in meinen Schuhen. Selbst das Schuldgefühl, etwas – allerdings unausgesprochen – Verbotenes, Schädliches getan zu haben, das Verbotenste, das Kuhle und ich jemals gemeinsam oder jeder für sich getan hatten, erreichte mein Bewusstsein nicht. Ich fühlte mich cool.
»Lässt du uns zwei da?«, fragte ich selbstsicher.
»Ist sowieso fast alle«, sagte der Typ, steckte uns die Schachtel HB zu und stieg in sein Auto.
    Kurz vor fünf war die Turnhalle voll. Wir standen neben der Bühne, hatten auf dem Klo die vier verbliebenen Fluppen geraucht, Angst und Erwartung hielten sich in etwa die Waage. Schlag fünf ging die Rothaarige auf die Bühne. Sie griff nach dem Mikrofon, sagte etwas, schlug dann mit der Handfläche dagegen.
    »Ich mach das schon«, erklärte ich und hockwendete auf die Bühne. Master, Fader drei, nicht zu hoch. Ich nahm ihr kurz das Mikro ab, schaltete es ein, in den Boxen knackte es vernehmlich. »Geht jetzt«, behauptete ich. Es ging tatsächlich.
    Es ging nicht nur, es war der Wahnsinn.
Die Fenster waren mit dunklem Stoff verhängt, an den Fresstischen standen ein paar Lampen, aber ansonsten bestand das einzige Licht aus der stark gedämpften Deckenbeleuchtung und dem, was die Orgel hergab, als wir den ersten Titel starteten. »Send Me An Angel«, einen Monat zuvor Nummer eins. Der Sound war großartig, das Beste, was ich je gehört hatte, die Boxen bummerten, und gut drei Dutzend Mädchen, ausschließlich Mädchen, stürmten auf die Tanzfläche. Wir gaben Nebel, nur ein ganz kleines bisschen, und während ich die Aussteuerung feinregelte, hing Kuhle über der Plattenkiste und stellte zusammen, womit es weitergehen würde.
Es war das Großartigste, was ich bis dahin erlebt hatte. Tim Köhrey steht auf der Bühne, und vor ihm tanzen Leute, weil er Platten auflegt. Der Gedanke schoss mir pausenlos durch den Kopf.
Nach und nach gesellten sich ein paar Jungs dazu, gelegentlich kam ein Schüler und äußerte einen Musikwunsch, ich versiebte ein paar Übergänge, aber bei der ersten Engtanzrunde war die

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