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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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ich.
»Wollen wir uns sehen?«, fragte sie.
Mein Zittern verstärkte sich. Der Plan, sofern man von Planung sprechen konnte, hatte darin bestanden, Melanie anzusprechen, kein Kopfschütteln zu ernten. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was im Anschluss geschehen sollte, würde, musste.
»Ich möchte dich unbedingt sehen, am besten sofort«, sagte ich, todesmutig, wie ich meinte, und ich hoffte, dass es nicht nach Stammeln klang.
»Das ist süß«, hauchte sie. Meine Kniescheiben verwandelten sich in Götterspeise. Ich setzte mich auf den Fußboden.
»Bist du noch da?«, fragte sie ein paar Sekunden später.
»Soll ich dich abholen?«, fragte ich mit versagender Stimme.
»Wir könnten ins Kino gehen«, schlug sie vor.
»Ja. Kino«, sagte ich.
    Eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit stand ich vor dem Zoo-Palast; für ein Kino-Rendezvous gab es keine Alternative in Berlin – der Zoo-Palast war mit Abstand das größte, schönste und spektakulärste Lichtspielhaus der Stadt. Ich stand vor dem verglasten Eingang und stierte um mich wie jemand, der bei Grün an der Ampel einer Kreuzung steht und das Geräusch eines sich nähernden Feuerwehrwagens hört, ohne das Fahrzeug zu sehen. Mit meiner rechten Hand knüllte ich das Papier, das der Mann im Blumenladen um den Stängel der roten Rose gewickelt hatte, die ich nach reiflichem Hin und Her und einem Fachgespräch mit Kuhle für Melanie erstanden hatte.
    Fünf Minuten vor der Zeit sagte eine reizende Stimme hinter mir: »Ist die für mich? Süß!«
Ich zuckte zusammen, verlor fast das Gleichgewicht – die Götterspeise reichte inzwischen bis zu den Schienbeinen –, drehte mich ruckartig um.
Dann bekam ich einen Kuss. Auf den Mund. Den ersten meines Lebens, der nicht von meiner Mutter stammte, an die ich mich sowieso nicht mehr erinnerte.
Ich kaufte die Eintrittskarten in Trance, kämpfte mit dem Portemonnaie in meiner Gesäßtasche, das ich unbedingt herausholen, öffnen und um den Zwanziger erleichtern musste, den ich zum Bezahlen brauchte, ohne Melanies Hand loszulassen. Es gab nichts Wichtigeres als das. Meinetwegen hätte das Kino einstürzen, die Welt versinken können, auf keinen Fall durfte ich diese Hand loslassen. Diese kleine, weiche, meinen Ballen mit dem zarten Daumen umspielende Hand. Diesen Engelsflügel in Form einer Hand.
Keine Ahnung, welcher Film lief. Als es dunkel wurde und die Werbung begann, lehnte sich Melanie zu mir herüber, und dann küssten wir uns. Wir taten das geschlagene zwei Stunden lang. Mit einer kleinen Unterbrechung, nach etwa fünf Minuten.
»Du hast nicht viel Erfahrung, oder?«
Ich schüttelte den Kopf, was sie vielleicht nicht sehen konnte, obwohl ihr Gesicht im flackernden Halbdunkel leuchtete, als hätte jemand einen Punktspot an der Decke eingebaut, der nichts als den Platz neben mir bestrahlte. »Nein«, sagte ich ehrlich. Den Gedanken an den Kontext der Frage verdrängte ich.
»Wir kriegen das schon hin«, sagte sie. Und: »Du bist süß.«
Wir kriegten es hin. Es konnte überhaupt nichts mehr geben, das ich nicht hinkriegen würde.
Natürlich hatte ich schon Filme gesehen, in denen sich Jugendliche in Kinos küssten; George Lucas’ »American Graffiti«, in dem zwar kein Kino vorkam, aber sich auch einige Jugendliche hier und dort küssten, gehörte zu meinen Lieblingsfilmen. Was in diesen Streifen nie geschah, wenigstens nicht zu sehen war, das war das, was Melanies Hände taten, und nach einer Weile auch meine. Sie zog mir mein Shirt aus der Hose und berührte meinen Oberkörper, der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls längst aus Götterspeise bestand, nichtsdestotrotz eine Sturmflut von Signalen zu meinem hypnotisierten Gehirn jagte. Sie streichelte meinen Oberschenkel, und sie berührte tatsächlich die Stelle, an der sich der Kollege, den ich so heftig und zielsicher zu schütteln wusste, gegen den Reißverschluss meiner Jeans drängte, als gäbe es draußen was zu sehen.
Ich verstand die Aufforderung und kam ihr gerne nach. Weibliche Brüste hatte ich noch nie berührt – männliche natürlich erst recht nicht –, aber nachdem mir Melanie dabei geholfen hatte, die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen, ertastete ich erst vorsichtig, dann fast ungestüm die weichen, festen, gekrönten Schönheiten, die sich dort verbargen. Ich wagte erst nicht mehr als ein zartes, atemloses, kaum Druck ausübendes Streicheln mit der Handfläche, was Melanie ihrerseits dazu veranlasste, den Druck auf meinen Schritt zu erhöhen und laut

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