Geisterfahrer
jede Sekunde verhaftet zu werden.
Mein Telefon klingelte, ich schnippte die Kippe über die Brüstung und ging hinein. Es war Pepe, der als eine Art Agent für mich arbeitete. An irgendeinem Abend im Ciro hatte er sich neben die Anlage gestellt, mir einen Whodini nach dem anderen ausgegeben und mich schließlich gefragt, wer mich vertreten würde.
»Ich selbst«, sagte ich.
»Du bist ein super DJ«, erklärte er.
Pepe war knapp zwei Meter groß, hatte lange, filzige Haare,
und er war so unglaublich dünn, dass ich sogar als Zwölfjähriger, spack und knochig, wie ich damals war, wie Arnold Schwarzenegger neben ihm ausgesehen hätte. Zu allem Überfluss trug er einen schwarzen Ledermantel und einen cremefarbenen Schlapphut, der ihn noch größer und dürrer machte, außerdem rauchte er Zigarillos, die ihm immer aus den Händen fielen, wenn er seine ausladenden Gesten vollführte. Sie hielten einfach nicht zwischen seinen mageren Griffeln.
»Danke«, sagte ich und winkte einem Stammgast, der mit zwei
Nutten im Arm in den Laden kam.
»Glaub mir, du brauchst einen Agenten. Jemanden, der dich
groß rausbringt.«
»Vorausgesetzt, ich will groß rausgebracht werden.« »Ich kenne viele Leute.« Seine rechte Hand flatterte in einem
Viertelkreis neben seiner Schulter.
»Ich auch.«
Er verzog das Gesicht, steckte sich ein Zigarillo an, weil dasjenige, das er Sekunden zuvor angemacht hatte, verschwunden
war. Ich prostete ihm mit dem Drink zu, den er mir spendiert
hatte.
»Nimm’s nicht persönlich«, sagte ich.
Aber Pepe ließ nicht locker.
Am nächsten Tag stand er wieder da und legte eine glänzende
Visitenkarte auf den Tresen, die eines dänischen Diplomaten. »Kannst du nächste Woche Mittwoch?«, fragte er grinsend. Mittwochs tat ich normalerweise überhaupt nichts, manchmal
trieb mich das schlechte Gewissen in die Franklinstraße, in »mein«
Institut. Ich besuchte dann irgendein Seminar, ohne zu wissen, ob
ich dafür eingeschrieben war. Das reichte für ein paar Wochen. Ich zuckte die Schultern.
»Tausendfünfhundert der Abend, zwanzig Prozent für mich.
PA wird organisiert. Hast du einen Anzug?«
Ich schüttelte den Kopf. Wozu brauchte ich einen Anzug? Ich
besaß ein paar Sakkos, deren Ärmel ich hochkrempelte, wie alle es
taten, und Jeans – natürlich. Fünfzehnhundert den Abend war sehr
viel.
Pepe trat einen Schritt zurück, kniff die Augen zusammen. »Kein Problem. Sei um sechs dort.«
Er ließ die Karte liegen, außerdem ein halbes Dutzend glimmende Zigarillos auf dem Fußboden, und verschwand, mit beiden
Armen wedelnd.
Pepe machte seine Sache gut. Die PA war erstklassig, für mich
lag ein Anzug bereit, der sogar passte, ich bekam die Kohle vor
dem Auftritt. Die Frau des Diplomaten, eine pummelige Mittvierzigerin in einem tief ausgeschnittenen Abendkleid, begrüßte mich
herzlich, zeigte mir den Weg zur Toilette und den Ort meines
Schaffens, einen kleinen Ballsaal. Die Party ging bis in die Morgenstunden, und einige Menschen, die ich schon auf Zeitungscovern
gesehen hatte, benahmen sich redlich daneben.
Am Freitag stand Pepe wieder im Ciro.
»Bin ich jetzt dein Agent?«, fragte er.
Ich zwinkerte ihm zu. »Auf Probe …«
»Was machst du im Sommer?«, fragte er jetzt, am Telefon. »Weiß nicht. Ist ja noch ein paar Monate hin.«
»Das Zelt hat Umbaupause, das Ciro macht auch dicht, wenn
ich das richtig gehört habe.«
Ich nickte stumm. Geldsorgen hatte ich keine, noch nicht, aber wenn ich nicht auflegte, würde ich stattdessen noch häufiger durch die Puffs ziehen, und dann bekäme ich welche.
»Bist du noch dran?«
Ich nickte wieder und sagte schließlich: »Ja.«
»Hättest du was dagegen, ein bisschen auf Reisen zu gehen.« »Mmh.«
»Ich könnte dir ein paar Termine organisieren. Nichts Groß
artiges, aber du kämst ein bisschen herum und würdest arbeiten.« »Muss ich drüber nachdenken.«
2. Chateau
Marla öffnete mir die Tür, sie trug ein durchsichtiges Negligé und nur das.
»Hallo, Tim«, sagte sie, wie man den Postboten begrüßt, also war Werner im Laden, in Hörweite. Sonst hätte sie mich umarmt und auf die Wange geküsst. Werner war Marlas Mann, den beiden gehörte das Chateau Plaisir, und obwohl Marla Abend für Abend mehrfach auf Zimmer ging, wäre Werner durchgedreht, hätte er mich je mit ihr im Arm gesehen. Ich war so eine Art Freund, zählte jedenfalls längst zum Inventar des Chateau, und deshalb war seine Frau für mich tabu. Dass sie es Nacht für Nacht Vertretern, Touristen
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