Geisterfahrer
Wohnung befand? Welchen Knopf musste ich drücken, um diese Scheiße ungeschehen zu machen?
»Wir kennen uns?«, brachte ich heraus, und es klang lahm.
»Ich kenne dich«, behauptete sie. Dann ging sie an mir vorbei in mein chaotisches Schlafzimmer. Ich stellte mich vor den kondenswasserbedeckten Spiegel und wartete, aber es geschah nichts, also folgte ich ihr. Sie lag im Bett, rauchend.
»Ich warte auf dich«, sagte sie.
»Kommt nicht in Frage. Niemand bleibt in meiner Wohnung, wenn ich nicht zu Hause bin.«
Es hatte böse klingen sollen, aber irgendwie verpuffte es, wie die Bitte eines Sechsjährigen, am zwanzigsten Dezember die Weihnachtsgeschenke öffnen zu dürfen. Jenny lachte.
»Ich bin nicht niemand «, erklärte sie.
»Du kannst nicht einfach wegbleiben. Werner wird dich erschlagen.«
Sie zog die Stirn kraus.
»Stimmt. Ich muss mit ihm reden.« Sie sah sich nach einem Aschenbecher um, aber in meinem Schlafzimmer gab es keinen.
»Ja. Eben.«
»Wo ist dein Telefon?«
»Du willst das telefonisch machen?«
Während ich auf ihre Antwort wartete, konnte ich ihr beim Denken zusehen. Noch immer rätselnd stand sie auf, ging ins Wohnzimmer, auf den Balkon und warf die Kippe über die Brüstung. Von unten war leiser, gekrächzter Protest zu hören.
»Ich muss mit Werner persönlich sprechen«, sagte sie, fast feierlich, als sie wieder vor mir stand.
»Du musst überhaupt nichts. Wir können auch …«
»Firlefanz!«, unterbrach sie mich. »Ich muss, und ich werde. Umgehend.« Innerhalb einer halben Minute war sie angezogen, ein paar Augenblicke später hatte sie sich geschminkt, Frauen aus ihrem Gewerbe können so was. Sie war wie runderneuert, während meine Motorik stotternd die letzten Treibstoffmoleküle verbrauchte.
»Ruf mir ein Taxi«, befahl sie. Ich gehorchte wie an der Schnur aufgezogen.
Drei Minuten später war sie verschwunden, nach einer Küssorgie, die ich kaum abzuwehren in der Lage gewesen war, und noch aus dem Treppenhaus rief sie energische Liebesschwüre nach oben. Frau Stachel schimpfte synchron lautstark aus ihrer Wohnung, ohne die Tür zu öffnen.
Ich saß eine Weile im Wohnzimmer, noch immer nackt, und starrte meine graugelbe Raufasertapete an. Ich hielt die Fernbedienung in der Hand, aber den richtigen Knopf fand ich nicht. Also nahm ich das Telefon und rief Pepe an.
Er hörte mir fast zehn Minuten lang zu.
»Du hast eine Vollmeise«, sagte er dann.
»Ich weiß.« Ich sah auf die Uhr. »Es ist fast Ende Mai. Du hast von ein paar Mucken erzählt, die ich machen könnte, irgendwo außerhalb.«
» Viele Mucken.«
»Okay, wann kann es losgehen?«
»Wenn du willst, sofort.«
»Sofort?«
»Na ja, ab übermorgen, spätestens überübermorgen. Kostet mich einen Anruf.«
»Ich bin in einer halben Stunde bei dir.«
Es dauerte ganze zehn Minuten, meinen Kram zusammenzupacken, dann hievte ich die Plattenkoffer und eine große Sporttasche mit Kleidung, von der ich nicht wusste, warum ich sie besaß, vor die Tür und wartete auf das Taxi. Eine Stunde später saß ich in Pepes R4. Er stand neben der Fahrertür, eine Hand auf dem Dach, in der anderen ein virtuelles Zigarillo.
»Wird sicher lustig«, sagte er in Richtung der Liste nickend, die auf dem Beifahrersitz lag. Ich hatte sie nur überflogen und das erste Ziel rausgesucht. Pepe hatte in der kurzen Zeit ganze Arbeit geleistet. Zig Mucken, fast zehn Wochen insgesamt. Dazu Unterkünfte. Ich nickte.
»Viel Spaß.« Dabei klopfte er aufs Dach, zog das Etui mit den Zigarillos aus der Tasche seines Ledermantels und machte einen Schritt rückwärts. Ich ließ den Motor an, das Geräusch klang vielversprechend, möglicherweise redete ich mir das aber auch nur ein. Ich nickte in Richtung der Windschutzscheibe, knackte die unhandliche Pistolenschaltung in den ersten Gang und gab Gas. Pepe rief noch irgendwas, aber verstehen konnte ich es nicht.
Ich fuhr in umgekehrter Richtung – erst am ICC vorbei, der Funkturm rechts im Hintergrund, dann auf die Avus. Diese Strecke sah ich erst zum zweiten Mal. Am Kontrollpunkt Dreilinden ordnete ich mich zielsicher in die Schlange ein, die am kürzesten aussah, sich aber naturgemäß als langsamste entpuppte. Ich hatte meinen behelfsmäßigen Personalausweis im Mund, bemühte mich um neutrale Mimik, als der graugesichtige erste GrePo meine Papiere entgegennahm und ich sie vom zweiten graugesichtigen GrePo wiederbekam, nebst Transitvisum. Auf der Transitstrecke hielt ich das Lenkrad mit beiden Händen, sah alle paar
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