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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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gab mir nicht die geringste Mühe, leise zu sein, aber das Atemgeräusch hörte ich immer noch, sogar in meiner völlig zugemüllten Küche. Mein Verdauungstrakt rumorte, ich nahm zwei Liter aus dem Wasserhahn, hörte der Kaffeemaschine zu, schenkte mir einen Pott ein, zwang die ersten Schlucke in mich hinein und lauschte. Jenny schnarchte weiter. In meinem Bett.
    Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich auf die scheußliche Ledercouch. Der Kaffee schmeckte nicht, aber nach solchen Nächten schmeckt ohnehin nichts, umso weniger, wenn es ein latentes Unwohlsein gibt, das man weder richtig orten, geschweige denn bekämpfen kann. Ich nahm die Fernbedienung in die Hand, schaltete die Glotze aber nicht ein. Also stand ich wieder auf, ging auf den Balkon, atmete Frühsommerluft, zündete mir eine Kippe an, provozierte die übliche Reaktion meiner Nachbarin, und beobachtete die Häuser jenseits der Mauer. Da tat sich nichts.
    Dafür stand Jenny plötzlich neben mir. Nackt.
Sie setzte sich auf die Lehne des immerfeuchten Sessels, nahm mir den Kaffeetopf aus der Hand und trank einen Schluck. Die andere Hand legte sie mir wie selbstverständlich in den Schritt.
»Morgen, Schatz«, sagte sie. Und dann, nach einer kleinen Pause: »Ist das die Mauer?«
Ich nickte, verkniff mir Bemerkungen wie »Nein, der Eiffelturm« und wünschte mir, die Mauer zwischen uns zu bringen. »Wie spät ist es eigentlich?«
»Gegen drei«, murmelte ich.
»Schönes Wetter.«
»Ja.«
»Unternehmen wir was?«
Ich nahm ihr den Kaffeepott aus der Hand, trank etwas und sah sie an. Sie saß da, in der nachmittäglichen Sommersonne, nackt und auf verwirrende Weise schön, blickte in Richtung Osten und schien sich einen Scheiß darum zu scheren, was außer uns auf der Welt geschah. Sie hatte ein Bein angewinkelt und auf dem Oberschenkel des anderen abgelegt; es fiel mir schwer, ihre rasierte Möse nicht anzustarren, also tat ich es. Mein dazu passendes Körperteil erhob sich, was Jenny nicht entging.
»Wir können auch erst mal noch ein bisschen ficken«, sagte sie, als würde sie vorschlagen, auf die Pfaueninsel zu fahren und danach eine Tour mit dem Dampfer zu machen. Ich nickte mehr aus Reflex, und wenige Sekunden später lagen wir auf dem Wohnzimmerfußboden.
    »Das wird doch nichts«, sagte ich, als wir unter meiner Dusche standen. Ich fühlte mich ausgelaugt, verbraucht, völlig ausgebrannt, aber Jenny hielt meinen Schwanz in der Hand und küsste mich ununterbrochen.
    »Wie meinst du das?«
»Ich meine. Was soll das werden?«
Sie lächelte. »Alles, was du willst.«
»Und wenn ich nicht will?«
»Dafür ist es ein bisschen zu spät, oder?«
»Ist es?«
Sie sah mich an, ihr Gesicht war ernst. »Ja. Ist es.« »Oha.«
»Ich werde Werner sagen, dass ich nicht mehr für ihn arbeite.«
    Ich schwieg verdutzt und ein kleines bisschen sorgenvoll, löste mich von ihr, stieg aus der Dusche und nahm das einzige – etwas miefige – Handtuch, das es in meinem Bad gab. Mein Magen grummelte bis zum Hals, es kratzte in meiner Kehle. Jenny blieb unter der Dusche, die kurzen, schwarzglänzenden Haare klebten ihr am Kopf, sie hatte die Augen geschlossen und den Kopf in den Nacken gelegt, das Wasser lief ihr über das Gesicht. Alle Körperfunktionen, die direkt wie indirekt mit Fortpflanzung zu tun haben, waren bei mir abgeschaltet, Tank leer, Reserve aufgebraucht. Ich betrachtete Jenny, und es war, als würde ich das Titelbild irgendeines Magazins ansehen. Nach dem zwölften Mal Wichsen. Da war einfach nichts, weniger als das, nicht einmal mehr Einfühlungsvermögen. Ich wollte, dass sie verschwand, möglichst schnell und spurlos, aber Jenny hatte andere Ideen.
    »Ich liebe dich«, erklärte sie, als sie aus der Dusche stieg und nach dem jetzt feuchten und miefigen Handtuch griff.
Aber ich dich nicht , dachte ich, brachte es jedoch nicht über mich, das zu sagen.
»Ich muss arbeiten«, sagte ich stattdessen.
»Oh. Kann ich mitkommen?« Sie bückte sich, um die Beine abzutrocknen, reckte mir dabei den Hintern entgegen.
»Musst du nicht auch …?«
Sie drehte sich zu mir. »Hörst du nicht zu?«
Ich versuchte ein Lächeln. »Doch. Schon. Aber das geht mir alles zu schnell.«
»Zu schnell?« Sie lachte. »Wie lange kennen wir uns jetzt?«
Überhaupt nicht. Wir kennen uns nicht, Schatz. Wir haben gevögelt. Hauptsächlich gegen Kohle. Das ist alles . Warum war ich nicht dazu in der Lage, das auch zu sagen? Wie hatte es dazu kommen können, dass sich diese Frau in meiner

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