Geisterfahrer
mein Kopf glüht. Was, wenn Kuhle ans Telefon gegangen wäre? Ich habe Fracksausen vor meinem eigenen Mut. Es klopft, der Zimmerservice, das ist wenigstens eine Ablenkung. Ich trinke Mineralwasser mit Aspririn-PlusC, danach Kaffee. Bevor ich den zweiten Anruf machen kann, klingelt das Telefon. Das hoteleigene. Es ist Frank. Er will mich gegen acht abholen.
Also Nummer zwei.
»Kuhlmann.« Eine Männerstimme, tief und etwas verschlafen.
»Hallo. Spreche ich mit Michael Kuhlmann?«
Kurze Pause. Dann: »Hören Sie, ich will keine Versicherung abschließen, ich bin mit meinen Telefontarifen zufrieden, ich möchte nicht an einer Umfrage teilnehmen, und ansonsten ist auch alles ganz wunderbar in meinem Leben. Bis auf die Tatsache, dass ich vor drei Stunden von der Nachtschicht gekommen bin und jetzt eigentlich schlafen möchte. Auf Wiederhören.«
»Halt!«, rufe ich.
»Ja?«
»Ich bin auf der Suche nach einem Jugendfreund.«
»Aha.«
»Einem, der Michael Kuhlmann heißt.«
»Verstehe. Und Sie glauben, dass ich das bin? Oder gibt es einen günstigen DSL-Tarif für Jugendfreunde, den Sie mir andrehen wollen?«
Ich grinse. Und bin inzwischen sicher, nicht Kuhle am Telefon zu haben.
»Sagt Ihnen der Name Tim Köhrey etwas?«
Er zögert kurz. »Eigentlich nicht«, kommt es dann.
»Eigentlich? Entschuldigung. Mein Name ist Tim Köhrey.«
»Aha. Wissen Sie, das ist schon etwas merkwürdig. Vorgestern rief eine Dame an, die ich nicht kannte. Also, sie hat sich nicht einmal vorgestellt.«
»Ja?«
»Die hat mich gefragt, ob ich einen Tim Curry kenne. Als ich verneinte, hat sie sich kurz bedankt und sofort wieder aufgelegt.«
Eine Dame? Die nach meinem Namen gefragt hat?
»Und sie hat sonst nichts weiter gesagt?« Meine Ohren glühen schon wieder.
»Nein. Sie hat sich nicht vorgestellt, mir nur diese Frage gestellt, und das war’s. Ich dachte erst, das wäre irgendwie Verarsche. Da gab es doch diesen Schauspieler. Rocky Horror oder so. Richtig?«
Ich nicke. »Ja«, sage ich schließlich.
»Aber der sind Sie nicht? Ich meine, wäre ja möglich, dass der jetzt Werbetelefonate führt.« Er lacht.
»Nein, das bin ich nicht. Ich bin tatsächlich nur auf der Suche nach jemandem, der genauso heißt wie Sie. Tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe.«
»Schon in Ordnung.«
»Danke.«
»Und viel Glück noch bei der weiteren Suche.«
»Danke. Wiederhören.«
Ich will gerade auflegen, da höre ich, den Mann etwas sagen.
»Ja?«
»Mir ist noch eingefallen, dass sich mein Telefon die Nummern der Anrufer merkt. Möchten Sie, dass ich nachschaue, ob die Nummer der Dame gespeichert ist?«
Scheiße, ja . Natürlich möchte ich das. Es gibt eigentlich nur ein weibliches Wesen, das auf die Idee kommen könnte, die Michael Kuhlmanns dieser Welt anzurufen, um nach mir zu fragen.
»Das wäre super«, sage ich. In meinen Ohren rauscht es.
»Moment.«
Ich höre Gepiepe, der Mann lacht: »Ups. Falsche Taste.« Und dann sagt er »Technik ist schon toll« und nennt mir eine Telefonnummer in Berlin, bevor wir uns voneinander verabschieden.
Für einen Moment sitze ich nur da und starre die wacklig auf den Hotelnotizblock gekritzelte Nummer an. Doch dann tippe ich sie einfach ein, bevor ich es mir wieder anders überlege. Als es tutet, fällt mir fast der Hörer aus der Hand, mein Herz schlägt so heftig, dass mir schwindlig wird. Gleich werde ich ihre Stimme hören. Zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren.
»Bichler.«
Mein Herz kann eigentlich nicht mehr tiefer rutschen, aber das tut es doch. Bichler ? Sie ist verheiratet? Und macht trotzdem Pornofotos? Aber die Stimme ist irgendwie nicht richtig, klingt etwas quäkig. Melanies Stimme war anders. Aber inzwischen kann ja alles Mögliche passiert sein. Es ist inzwischen alles Mögliche passiert.
»Hier ist …« Ich kann meinen Namen nicht aussprechen. Stattdessen muss ich wieder husten.
»Ja?«
»Hier ist Tim. Tim Köhrey.« Jetzt ist es raus. Ich bin Gottes Gnade ausgeliefert.
»Tim Köhrey?«, Sie klingt nachdenklich. »Ach. Tim. Hallo! Schön, dich zu hören.«
»Mit wem spreche ich?«
»Mit Martina. Martina Vasenta.«
Wer? Who the fuck ist Martina Vasenta? Ich habe diesen Namen noch niemals gehört.
»Ich habe geheiratet. Schon vor Jahren. Deshalb habe ich mich mit Bichler gemeldet. Ich habe zwei Kinder. Und du?«
Und ich? Ich bin völlig neben mir. Ich hatte gehofft, mit meiner verschollenen Jugendliebe sprechen zu können, mit der Frau, die ich niemals aufgehört habe zu lieben. Und jetzt habe ich eine
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