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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Sekunde wirkt es lächerlich auf mich, wie hier versucht wird, die Vergangenheit zur Gegenwart zu machen, aber ich verdränge den Gedanken.
Ich komme mit einem Typen ins Gespräch, der etwa in meinem Alter ist. Er erzählt mir etwas über den Punk und dass jetzt nichts mehr so authentisch sei wie damals. Punk ? Heute läuft der alte Billy-Krempel auf den Mainstream-Top-40-Dasbestevondamalsbisirgendwann-Sendern, aber ich erinnere mich nicht daran, dass das jemals irgendwas mit Punk zu tun gehabt hätte. Ist ja auch egal. Ich verabschiede mich höflich und tigere zum Bierstand, während Idol die Lederjacke auszieht und die ersten Riffs eines alten Hits erklingen. Keine Ahnung, was ich erwartet habe, aber wenigstens ist das Wetter gut.
Ich stehe in der Schlange, das Catering muss bei Rockkonzerten einfach schlecht sein, sonst macht es keinen Spaß, die Zapfer panschen, aber meine Laune ist trotzdem gut. Ich fühle mich auf seltsame Art frei.
»Hi«, sagt eine Frau hinter mir, und ich bekomme erst nicht mit, dass ich gemeint bin. Als sie die Begrüßung wiederholt, drehe ich mich um. Die Rezeptionistin aus dem Hotel.
»Ich heiße Tanja«, sagt sie.
»Tim.«
»Ich fand die Idee so nett. Ich laufe Ihnen nicht nach.«
Ihr Gesicht ist ein bisschen gerötet, aber das mag an der Sonne liegen.
»Ist schon okay. Aber wir sollten uns duzen.«
»Schön.« Sie strahlt. Ich spendiere ihr ein Bier.
Wir setzen uns auf ein freies Stück Wiese etwas abseits. Langsam dämmert es, und würden da vorne die Arctic Monkeys, The Kooks, Bloc Party, Blue October, Interpol oder so spielen, also die Art von Musik, die ich in den letzten Jahren fast heimlich liebgewonnen habe, wäre es perfekt. Tanja wippt mit den kleinen Füßen, die in weißen Turnschuhen stecken, nippt an ihrem Bier und schaut alle zwei Sekunden zu mir rüber. Sie weiß nicht, dass ich es bemerke. Ich lasse sie im Augenwinkel und gebe mich dem Gefühl hin, eigentlich mit einer anderen Frau hier zu sitzen. Es riecht nach Gras, und ich bekomme plötzlich Lust auf einen Joint. Ich war nie ein Kiffer; die paar Male, die ich das früher probiert hatte, kann ich an einer Hand abzählen, und der Effekt fiel immer enttäuschend aus. Kribbelnde Kopfhaut, etwas verlangsamte Wahrnehmung, ein Gefühl zwischen wohliger Völle und kurz vor dem Kotzen. Trotzdem zieht mich irgendwas in diese Richtung. Ich erhebe mich aus dem Schneidersitz, meine Knie schmerzen, und halte Ausschau nach den Kiffern. Tanja wirft mir einen fragenden Blick zu, ich sehe drei Typen, die eine riesige Rübe kreisen lassen, stelle mich neben sie und schaue den einen fragend an, einen rothaarigen Schlaks, der wohl über zwei Meter misst. Er grinst, gibt mir den Joint, und ich nehme zwei kräftige, lange Züge. Nickend und den zweiten Zug haltend kehre ich zu Tanja zurück, aber sie ist nicht mehr allein. Eine Frau steht bei ihr: Jenny. Fucking Jenny.
Erst erkenne ich sie gar nicht. Ihre Haare sind immer noch schwarz, aber sehr kurz, sie trägt eine Brille, randlos und mit metallisch glänzenden Bügeln. Neben Tanja, die vielleicht eins zweiundsechzig ist, wirkt sie groß; Jenny trägt enge Jeans, die ihre langen Beine betonen, und tatsächlich ein Billy-Idol-T-Shirt. Sie sieht mich an, als wäre ich von einem anderen Planeten.
»Ihr kennt euch?«, fragt Tanja, während wir einander anstarren.
Meine Kopfhaut fühlt sich an, als würde ich ein Toupet tragen, und mit meinen Beinen ist irgendwas. Ich setze mich hin, und weil Tanja und Jenny stehenbleiben, glotze ich nach oben. Billy spielt einen Song, den ich nicht kenne. Für einen Augenblick weiß ich nicht, in welcher Richtung die Bühne liegt.
»Kennt ihr euch denn?«, frage ich zurück.
»Jennifer ist meine beste Freundin«, erklärt Tanja.
Jennifer.
Ich stehe wieder auf, weil es noch komischer ist, Jenny von unten anzusehen, und als ich auf den Beinen bin, trifft mich eine kräftige Backpfeife. Ich nicke, atme tief ein und bücke mich nach meinem Bierbecher. Als ich mich wieder erhebe, verschwimmt meine Wahrnehmung für einen Moment. Ich greife in die Luft, meine Hand landet auf Tanjas Schulter. Sie sagt: »Ihr kennt euch.«
Ich nicke wieder. Die Bewegung dauert eine gefühlte Ewigkeit.
»Du Arsch«, sagt Jenny jetzt. Es ist seltsam, sie mit Brille zu sehen, es ist seltsam, sie überhaupt zu sehen, und plötzlich muss ich lachen. Wahrscheinlich lache ich wie der letzte Vollidiot, aber als der Anfall endlich vorbei ist, bin ich auch wieder klar, bis auf ein ganz

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