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Geisterfjord. Island-Thriller

Geisterfjord. Island-Thriller

Titel: Geisterfjord. Island-Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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gibt?«
    »Ich kann mich nicht erinnern, dass darüber geredet wurde. Ich wüsste auch nicht, worin der bestehen sollte.« Er wandte sich von Freyr ab und ließ seinen Kopf zurücksinken. Die Kuhle, die sich in dem weichen Kissen gebildet hatte, war kaum sichtbar. »Ich glaube nicht, dass es einen gibt.« Seine Stimme wurde schwächer, und obwohl ihr Gespräch nicht lange gedauert hatte, wurde er müde.
    Freyr machte Anstalten, aufzustehen und sich zu verabschieden. Er hatte zwar nicht viel erfahren, war sich aber ziemlich sicher, dass der Junge seiner Mutter und seinem Bruder auf die eine oder andere Weise ins Meer gefolgt war. Das war die wahrscheinlichste Erklärung, und meistens entpuppten sich die einfachsten Vermutungen als richtig. Bevor er aufstand, stellte er noch eine weitere Frage, halb hoffend, dass der Mann sich erholt hätte und sie sich noch ein bisschen unterhalten könnten. »Ist Bernódus’ Lehrerin zufälligerweise noch am Leben? Vielleicht weiß sie mehr darüber.«
    Der alte Mann schüttelte schwach den Kopf. »Nein, die ist längst tot, ist sehr plötzlich gestorben, viel zu früh. Da kommen Sie ein paar Jahrzehnte zu spät.«
    »Sie ist doch wohl nicht zur selben Zeit gestorben wie Bernódus?«
    »Nein, nein, das war später, zehn Jahre oder so. Sie hatte schon aufgehört zu unterrichten, weil sie ihr Sehvermögen verloren hat.«
    »War sie krank?« Die Lehrerin auf dem Klassenfoto sah ziemlich jung aus und wäre zehn Jahre später im besten Alter gewesen. Es war eher ungewöhnlich, dass man in diesem Alter an grünem Star oder aus Altersgründen erblindete, aber es gab natürlich auch andere Augenleiden, die nichts mit dem Alter zu tun hatten.
    »Nein, es war ein Unfall. Sie ist im Frühjahr nach den schrecklichen Ereignissen auf Glatteis ausgerutscht, tragischerweise mit dem Gesicht auf ein Geländer gefallen und hat beide Augen verloren. Danach wurde sie ein bisschen seltsam, die Arme, meinte, sie sei gestoßen worden, aber es gab jede Menge Zeugen, und die haben niemanden gesehen. Deshalb wurde ich gebeten, im Herbst ihre Klasse zu übernehmen. Sie konnte nicht mehr weiterarbeiten.« Die Hände des Mannes begannen ohne ersichtlichen Grund zu zucken. »Im Grunde hat dieser Unfall sie in den Tod gerissen hat, denn sie ist später vor ein Auto gelaufen. Sie hatte zwar einen Blindenstab, hat aber wohl nicht aufgepasst oder war durcheinander, und dann ist es passiert. Wenn Sie noch mehr alte Klatschgeschichten hören wollen, kann ich Ihnen noch was erzählen. Mir ist damals zu Ohren gekommen, man hätte bei der Untersuchung ihrer Leiche festgestellt, dass sie verrückt war, aber das würde ich an Ihrer Stelle nicht für bare Münze nehmen. Ich dachte nur, ich erzähle es Ihnen, weil Sie Spezialist auf diesem Gebiet sind.«
    »Wissen Sie, wie man darauf gekommen ist?«
    »Es heißt, sie hätte sich selbst verletzt und sei geistig umnachtet gewesen.« Der alte Mann gähnte, noch geschwächter als vorher. »Aber sie war nicht sehr beliebt, vielleicht kursierten deshalb solche Geschichten über sie. Sie war nicht besonders engagiert im Unterricht, den Schülern gegenüber ungerecht und meistens ziemlich unfreundlich.«
    Freyr beschloss, seine letzte Frage zu stellen: »Was für Verletzungen hatte sie denn?«
    »Ein Kreuz. Sie hat sich ein Kreuz in den Rücken geritzt. Und zwar ziemlich gut, soweit ich weiß, wenn man bedenkt, dass sie blind war.«
    Plötzlich überkam Freyr eine ungeheure Müdigkeit und das überwältigende Verlangen, sich zu Hause ins Bett fallen zu lassen. Es reichte.

25. Kapitel
    Katrín hatte sich noch nie so sehr über ein Geräusch gefreut wie über den Lärm, der von draußen ins Haus drang. Líf lachte über etwas, das Garðar gesagte hatte – ein eindeutiges Zeichen, dass der Besitzer der Hand nicht mehr auf der Terrasse stand. Katrín zwang sich, die Augen aufzumachen, und spürte, wie ihr Herzschlag langsamer und ihr Atem ruhiger wurde. Der Fischgeruch war verschwunden, und sie genoss es, wieder kräftig einzuatmen. Anders als bei anderen Gerüchen, hatte sie sich nicht an den Gestank gewöhnt, denn er war so intensiv geworden, dass sie meinte, ein verfaultes Stück Fisch vor der Nase zu haben. Je größer ihre Angst geworden war, desto weniger hatte sie ihren Fuß gespürt, aber jetzt, da der Schreck vorüber war, nahmen die Schmerzen wieder zu – im Fuß wie in ihrem ganzen geschundenen Körper. Trotzdem hätte sie am liebsten vor Erleichterung geweint, als Lífs

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