Geisterfjord. Island-Thriller
und Garðars undeutliche Umrisse, mit den Armen voller Gepäck, in der dunklen Öffnung der Küchentür erschienen.
»Na, waren wir nicht superschnell?« Líf legte zwei zusammengerollte Schlafsäcke und eine Plastiktüte voller Sachen auf den Boden, ohne einzutreten. Dann löste sie die Schnürsenkel ihrer Wanderschuhe. Dumpfer Nikotingeruch erfüllte den Raum, und Katrín sog ihn genüsslich ein – er roch viel besser als der gerade verflogene Fäulnisgestank. In Katríns Augen waren sie viel zu lange weggewesen, aber sie verlor kein Wort darüber. »Ich bin total froh, euch zu sehen. Habt ihr die Kerzen mitgebracht?« Ihre Sehnsucht nach Licht war genauso groß wie Lífs Sucht nach Nikotin. Katríns Stimme zitterte verdächtig, und als Líf in ihre gefütterten Hausschuhe geschlüpft war und eine Kerze aus der Tüte geholt und angezündet hatte, wich sie beim Anblick von Katríns leichenblassem Gesichts entsetzt einen Schritt zurück. »Mein Fuß bringt mich um«, murmelte Katrín. »Außerdem war jemand vor dem Haus, kurz bevor ihr gekommen seid.«
»Was?« Garðar kam ebenfalls hereingehumpelt. Anscheinend war seine Blase nach der Wanderung und dem Weg zum Arzthaus wieder aufgeplatzt. »Wir haben niemanden gesehen.« Er setzte sich Katrín gegenüber an den Küchentisch und stellte ein weißes Pillengläschen vor sie. »Nimm vier davon. Dann geht es dir besser.«
»Bekommt sie nichts zu trinken dazu?«, fragte Líf und schaute sich nach einem Glas Wasser oder Saft um, aber das begrenzte Licht der Kerze warf nur Schatten an die Wände.
»Es geht schon.« Katrín fischte vier weiße Tabletten aus dem Gläschen. Sie waren ungewöhnlich groß, und als sie sie in den Mund gesteckt hatte, konnte sie sie kaum runterschlucken. »Wie lange dauert es, bis die wirken?« Sie fragte nicht, was es war, und hatte keine Lust, die Aufschrift auf dem Glas zu lesen. Hauptsache, die unerträglichen Schmerzen ließen nach.
Garðar beobachtete, wie sie die Tabletten schluckte. »Eine halbe Stunde oder so. Vielleicht länger, weil wir so lange nichts mehr gegessen haben.« Er sah missmutig und besorgt aus, von der guten Stimmung auf der Terrasse war nicht mehr viel übrig. »Sag mir, was du gesehen hast. Wenn das verfluchte Kind in der Nähe ist, müssen wir Vorkehrungen treffen, bevor wir schlafen gehen.«
Auch Lífs Lachen war ganz weit weg, und sie sagte mit zitternder Stimme: »Was für Vorkehrungen? Was können wir denn tun?« Sie zog den Stuhl näher an den Tisch. »Warum sind wir nicht alle zum Arzthaus gegangen? Wir hätten dich gut zwischen uns nehmen können, Katrín.«
»Ich schaffe das nicht. Vielleicht morgen früh, aber jetzt müsste ich auf einem Bein hüpfen, und das traue ich mir nicht zu. Ihr könnt mich und den ganzen Kram ja nicht rübertragen. Wie sollen wir zum Beispiel über den Fluss kommen?« Katrín sprach immer schneller und verstummte abrupt, bevor ihre Stimme wie ein Maschinengewehr klang.
»Wir gehen nirgendwohin. Meine Ferse tut auch tierisch weh«, sagte Garðar noch missmutiger. »Dann müssen wir eben abwechselnd schlafen. Gegen uns drei kommt ein Kind nicht an. Es kann uns nur überraschen, und das geht am besten, wenn wir schlafen.« Garðar schob die Kerze in die Mitte des Tischs. »Wir haben jetzt genug Kerzen, da ist es einfacher, wach zu bleiben, als wenn es stockdunkel ist. Ich übernehme die erste Wache und schlage vor, dass ihr sofort ins Bett geht. Es wäre dumm, wenn wir alle drei wach bleiben.«
»Was er wohl von uns will?« Katrín war viel zu fertig, um eine Meinung zu Garðars Vorschlag zu haben, geschweige denn, etwas anderes vorzuschlagen. Sie war heilfroh, keine Entscheidungen treffen zu müssen, und hätte sogar einer von Lífs unsinnigen Ideen zugestimmt, solange sie nicht laufen musste. »Ich meine, warum schleicht er um uns herum? Offenbar will er nichts stehlen, dazu hätte er schon genug Gelegenheiten gehabt, und er sucht auch keine Gesellschaft oder Hilfe.« Sie holte tief Luft. »Ich verstehe das einfach nicht.«
Líf drehte sich um, so als erwarte sie, dass der Junge sie durchs Fenster grüßen würde. Hinter der Fensterscheibe lag alles im Dunkeln. »Dieser Junge ist nicht lebendig. Warum geben wir das nicht zu? Dadurch wird unsere Lage auch nicht schlimmer.«
»Hör auf mit dem Quatsch, Líf.« Garðar schaute weder Líf noch Katrín in die Augen, als er das sagte. »Du weißt ja nicht, was du da redest. Es gibt keinen Grund, den Teufel an die Wand zu malen.
Weitere Kostenlose Bücher