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Geisterfjord. Island-Thriller

Geisterfjord. Island-Thriller

Titel: Geisterfjord. Island-Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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die Verletzungen nachts zugefügt zu haben. Das machte es so gut wie unmöglich, dass andere Personen daran beteiligt gewesen waren, denn das hätte ihr Mann bemerkt. Freyr war sich ziemlich sicher, dass er nichts mit der Sache zu tun hatte, dafür hatte er einfach zu überzeugend geklungen. Eine leise, wahnsinnige Stimme beschlich ihn und flüsterte ihm zu, dass kein Lebender der Frau die Wunden zugefügt hätte. Dass andere, bösere Mächte dahinterstecken würden. Auch wenn Freyr diese Gedanken seufzend beiseiteschob, kam ihm dabei eine andere Idee: Hätte sich Halla die Wunden auf dem Rücken unbewusst zufügen können? Entweder nachts mit einem Kratzer oder ganz ohne Berührung? Freyr hatte von solchen Mythen gehört, ihnen aber nie großen Glauben geschenkt. Menschen bekamen sogenannte Stigmata auf den Handflächen und Füßen, wie bei einer Kreuzigung, aber es hatte noch niemand nachweisen können, dass sie sich diese Wunden selbst, nur durch ihre eigenen Gedanken, zufügten, obwohl es solche Theorien gab. Das war natürlich eine verrückte Idee, aber nicht ganz so verrückt wie die, dass es ein Toter aus dem Jenseits gewesen war.
    Das Telefon klingelte. Es war die Krankenschwester, bei der Freyr auf dem Weg in sein Büro vorbeigeschaut hatte, in der Hoffnung, dass der alte Lehrer wach und imstande wäre, ihn zu empfangen. Das war nicht der Fall gewesen, aber die Schwester hatte versprochen, Freyr Bescheid zu geben, wenn der Alte aufwachte, da er manchmal nachts wach lag. Nun erklärte sie, er habe sich aufgesetzt und freue sich, Freyr zu sehen, er sei froh, wenn ihm jemand die Nachtstunden verkürzen würde. Als Freyr aufsprang, überlegte er, was passiert wäre, wenn sie nicht angerufen hätte. Wahrscheinlich hätte er aus dem Fenster gestarrt, bis die Morgenwache auf den Parkplatz gefahren wäre, und hätte dann wieder mal mit Ringen unter den blutunterlaufenen Augen seinen Arbeitstag begonnen. Wobei das immer noch denkbar war, falls er trotz der überwältigenden Erschöpfung, die mit jeder Stunde zunahm, nicht schlafen konnte. Hoffentlich überkam ihn das Verlangen, sich zu Hause ins Bett zu legen, wenn er mit dem alten Mann gesprochen hatte.
    Als Freyr die Tür zum Flur aufgemacht hatte, zögerte er. Das vertraute Flackern begrüßte ihn mit lautem Klacken, obwohl die Glühbirne ausgewechselt worden war. Die Lampe musste kaputt sein, und er nahm sich vor, mit dem Hausmeister zu reden, auch wenn er ihn für einen merkwürdigen Querulanten halten würde. Freyr holte tief Luft und dachte an die Sinnestäuschung, die er an dieser Stelle vor nicht allzu langer Zeit gehabt hatte. In diesem Zustand der totalen Erschöpfung war sein Hirn für allen möglichen Unsinn empfänglich. Freyr riss sich zusammen und betrat den Flur. Er war erleichtert, den Linoleumboden und die weiß gestrichenen Wände zu sehen. Dennoch bekam er eine Gänsehaut, als er losging, und er hatte das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Immer wieder drehte er sich um, sah nichts, wurde aber von einem leisen Kichern verfolgt, als er weiterging. Natürlich war das Einbildung. Da kam ihm der Gedanke, dass er das Geräusch aufnehmen könnte. Er blieb stehen, stellte die Aufnahmefunktion an seinem Handy ein und ließ sie laufen, während er langsam zum Treppenhaus ging. Dort schaltete er das Gerät aus und rannte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Erst, als er die Station betrat und in das freundlich lächelnde Gesicht der Krankenschwester schaute, verschwand seine Gänsehaut. Ihrem verwunderten Gesicht war anzusehen, wie erleichtert er wirken musste, und er versuchte krampfhaft, sich möglichst normal zu verhalten.
    »Er ist in seinem Zimmer. Das zweite Bett ist frei, wir haben den Patienten heute entlassen.« Die Krankenschwester zögerte. Freyr mochte sie, aber sie hatten leider nur selten gemeinsam Schicht. Sie war nicht auf den Kopf gefallen und nahm kein Blatt vor den Mund, so wie jetzt. »Darf ich fragen, warum du ihn sehen willst?«
    »Ich untersuche den Selbstmordfall in Súðavík. Er hat an der Schule unterrichtet, in der die Verstorbene Schülerin war.« Freyr lächelte verlegen, als er merkte, wie weit hergeholt diese Verbindung war. »Glaub mir, die Geschichte ist so merkwürdig, dass es viel zu lange dauert, sie vernünftig zu erklären. Irgendwann trinken wir mal zusammen einen Kaffee, und ich erzähle sie dir.«
    Sie lächelte wieder, so dass ihre schneeweißen, geraden Zähne aufblitzten. »Nach dem, was ich

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