Geisterfjord. Island-Thriller
Kopf, dass es sich vielleicht um einen Streich handelte, um irgendwelche Kinder, die den merkwürdigen Typen aus Reykjavík, der seinen Sohn verloren hatte, an der Nase herumführen wollten. Vielleicht waren diese verdammten Blagen auch durchs Krankenhaus gelaufen. Bevor er wusste, was er tat, war Freyr schon auf das Motorboot zugeeilt und wurde nicht langsamer, als das abartige Kichern erneut ertönte.
Als er neben dem Boot stand, stellte er fest, dass es höher war, als er gedacht hatte, und man gar nicht so leicht hineinkam. Er hielt sich am Bootsrand fest und spähte über das Deck, sah aber nur rostiges Eisen, verrottete Taue und Fischernetze, die so verwickelt waren, dass sie den Fischen nicht mehr gefährlich sein konnten. Er ging um das Boot herum und klopfte dagegen, um das Kind oder die Kinder aufzuschrecken. Mit seinem bloßen Knöchel verursachte er ein tiefes, hohles Klopfgeräusch. Doch kein Kopf schoss nach oben und niemand gab sich zu erkennen, nur gelbe Farbsplitter fielen auf die Erde. Der Name und die Kennziffer des Boots waren noch zu erkennen: Gígja Ólafsdóttir ÍS 127. Endlich erzeugte das Klopfen eine Reaktion: Das Lachen wiederholte sich, diesmal eindeutig im Schiffsrumpf. Das reichte, damit Freyr zu der Stelle hechtete, an der die Reling am niedrigsten war, und sich aufs Deck schwang.
Das Erste, was ihm auffiel, war der intensive Meeresgeruch. Hier war alles so durchtränkt von Meerwasser und Gischt, dass das Boot viele Jahre an Land liegen musste, um den Geruch wieder loszuwerden. Vielleicht stammte er auch von den Pfützen, die überall an Deck waren und im Mondlicht schimmerten. Freyr konnte seinen Blick nicht von ihnen abwenden. Es war so kalt, dass die flachen Pfützen, selbst wenn es Meerwasser war, eigentlich hätten gefroren sein müssen. Wahrscheinlich stammten sie von der Person, die sich an Bord befand. Das Deck knirschte unter Freyrs Schritten, und er hoffte inständig, dass dem Rotzbengel das Herz in die Hose rutschte, aus Angst, entdeckt zu werden. Aber was sollte er machen, wenn er den Kleinen geschnappt hatte? Wahrscheinlich würde er ihn an der Jacke aus seinem Versteck zerren, ihn fragen, was zum Teufel er da machte, und ihn kräftig schütteln, bevor er ihn wieder losließ und völlig verschreckt nach Hause laufen ließ. Er musste nur aufpassen, nicht die Kontrolle zu verlieren und das Kind für die Ungerechtigkeit der letzten Jahre zu bestrafen. Die Versuchung war groß.
Obwohl das Lachen seinen Ursprung unter Deck hatte, beschloss Freyr, erst in das kleine Steuerhaus zu schauen, um sicherzugehen, dass kein Zeuge in der Nähe war, während er dem Bengel die Leviten las. Aber dort war zum Glück niemand, und Freyr drehte sich zu der Holzluke vorne im Steven. Dabei trat er so fest wie möglich auf, um seine Schritte, die in dem geschlossenen Raum unter Deck echoen mussten, noch furchteinflößender zu machen. Er wartete einen Moment, um die Spannung zu erhöhen, bevor er sich daran machte, die Luke anzuheben.
Freyr kniete sich hin und packte den Griff. Seine Finger hatten ihn noch nicht umschlossen, als das Kichern erneut ertönte, diesmal direkt unter der Luke. Es klang so, als versuche das Kind sein Lachen zu unterdrücken. Es schien überhaupt keine Angst zu haben, sondern sich köstlich zu amüsieren, wobei der Tonfall wie zuvor gemein und freudlos war. Freyr fand das Geräusch so unangenehm, dass er den Griff sofort wieder losließ. Dann verließ ihn der Mut. Doch sobald er nicht mehr von blinder Wut angetrieben wurde, übernahm die Vernunft das Ruder, und Freyr starrte den Riegel auf der Luke an. Er war außen. Wer auch immer sich da unten befand, musste durch diese Öffnung geklettert sein. Freyr drehte sich um, sah aber keinen anderen Eingang.
»Mach auf.«
Freyr erstarrte. Es war eine Kinderstimme, aber nichts an ihr erinnerte an Benni.
»Willst du verstecken spielen?«
Freyrs Atem ging so schnell, dass er nicht mehr wusste, ob er ein- oder ausatmete. Er sprang auf die Füße, stand wie angewurzelt da und starrte die Luke an. Als er einen Schritt nach hinten machte, vibrierte der Holzboden und die Stimme wiederholte: »Mach auf. Lass uns verstecken spielen.« Dann setzte das Kichern wieder ein und verfolgte Freyr, als er über die Reling sprang, war ihm auf den Fersen, als er sich im Schnee wieder hochrappelte, und verfolgte ihn, als er den ganzen Weg in die Stadt rannte. Er wurde erst langsamer, als er in der Innenstadt angelangt war und nach Luft rang;
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