Geisterfjord. Island-Thriller
leblos wie die Toten, die in ihrem Kopf herumspukten und nach Rache dürsteten.
»Nein, das kann nicht sein. Was soll Garðar denn zum Beispiel gemacht haben, dass er es verdient hat, zu …« Katrín konnte den Satz nicht beenden. Was war mit Garðar geschehen? Líf sah sie an und öffnete den Mund, schloss ihn aber sofort wieder. Dann drehte sie sich wieder zu der dunklen Türöffnung, die von dem flackernden Kerzenlicht nicht ausreichend erhellt wurde. »Komm, lass uns was essen. Danach geht es dir besser, es tut dir nicht gut, wenn dein Blutzucker steigt. Wir dürfen uns nicht so gehen lassen«, sagte Katrín schließlich. Putti stand auf und schleppte sich mit wunden Füßen in ihre Richtung. Allmählich machte sich bemerkbar, dass diese Hunderasse nicht für solche Bedingungen geeignet war.
»Manche sterben an zu hohem Blutzucker«, entgegnete Líf und rührte sich nicht. Sie lachte trocken, und ihre Schultern bebten unter der Decke, in die sie sich gewickelt hatte. »Und andere an zu niedrigem.« Wieder lachte sie, hörte aber plötzlich auf und starrte apathisch vor sich hin.
»Was das betrifft, droht uns keine Gefahr, das kann ich dir versprechen«, sagte Katrín und stützte sich an der Wand ab, bis der schlimmste Schmerz in ihrem Fuß vorüberging. Líf machte keine Anstalten, etwas zu sagen oder aufzustehen. »Wenn du nicht mitkommst, bleibst du alleine hier im Dunkeln. Ich nehme Putti und die Kerze mit.« Eigentlich gab es keinen Grund, Líf die Kerze wegzunehmen, in der Küche gab es genug davon, aber es war ein verzweifelter Versuch, sie dazu zu bringen, aufzustehen und mitzukommen. Katrín wollte es zwar nicht zugeben, aber sie traute sich nicht alleine in die Küche, auch nicht in Begleitung von Putti. »Wie du willst.«
Líf drehte den Kopf ein wenig und schaute Katrín in die Augen. Die tanzende Flamme der Kerze spiegelte sich in ihren Pupillen, so als irre etwas rastlos in ihren Augen umher. »Ich will nicht sterben, Katrín, nicht alleine.« Sie stand auf. Als sie losging, bewegte sie sich wie Putti, mit entmutigten, hoffnungslosen Schritten – wie der Gang eines zum Tode verurteilten Gefangenen zur Hinrichtung.
»Du stirbst nicht.« Katríns Worte klangen wie ein Ammenmärchen oder ein schlechter Witz. »Wir fühlen uns besser, wenn wir was gegessen haben.« Sie wollte eigentlich nicht mehr sagen, musste Líf aber noch klarmachen, dass sie vor Einbruch der Nacht noch mal rausmüssten. Besser, sie warteten damit, bis sie satt und ein wenig gestärkt waren. Ein naives Lächeln schlich sich auf Katríns Lippen, so als könne Nahrung das Grauen, das sie in den Klauen hielt, besiegen. Sie mussten Brennholz holen und pinkeln gehen. Außerdem konnten sie noch mal nach Garðar rufen, seinen Namen in die Dunkelheit brüllen, in der schwachen Hoffnung, dass er sie hörte und zurückkäme. »Nimm die Kerze mit, Líf. Wir brauchen Licht.«
Das orangene Licht warf unheimliche Schatten auf Lífs Gesicht, ihre Augen lagen in dunklen Höhlen, und ihre Wangenknochen stachen vor, so als schrumpfe ihre Haut. Als sie redete, verstärkte sich der gespenstische Eindruck noch. »Was glaubst du, was mit Garðar passiert ist?«, flüsterte sie.
»Ich weiß es nicht, Líf. Hoffentlich ist nur irgendwas vorgefallen, und er musste in einem anderem Haus unterschlüpfen. Vielleicht schafft er es nicht zurück, hat sich verletzt oder ist ohnmächtig geworden.« Katrín biss sich auf die Lippe bei dem Gedanken, dass sie recht haben könnte und Garðar gar nicht drinnen war, sondern irgendwo draußen lag, im kalten Schnee, mit dem unerbittlichen Wind als Decke. »Er ist bestimmt im Arzthaus«, sagte sie und hatte tatsächlich das Gefühl, die Wirklichkeit dadurch beeinflussen zu können. Als warte das Leben darauf, dass sie über Garðars Schicksal bestimmte. »Er muss da sein.«
»Warum gehen wir dann nicht hin?« Die Hoffnung in Lífs Augen reichte fast, um die Schatten der Kerze abzuschwächen und ihr Gesicht wieder menschlich zu machen. »Ich kann dich stützen, wir wären ganz schnell drüben. Bitte!«
»Ich schaffe das nicht, Líf. Wir müssen über den Fluss, und mein Fuß ist schlimmer geworden. Auf einem Bein komme ich da nicht rüber, und du kannst mich nicht Huckepack nehmen. Was, wenn du ausrutschst und wir ins eiskalte Wasser fallen? Wir wären sofort erfroren. Du kannst natürlich alleine gehen, aber ich weiß nicht, ob du dir das zutraust. Oder was meinst du?« Katrín hielt die Luft an aus Angst,
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