Geisterfjord. Island-Thriller
der Tastatur herum und vergrößerte den Teil des Bildes, der das Auto zeigte. Zuerst dachte Freyr, sie wolle das Nummernschild lesen, was er schon viele Male versucht hatte, aber bevor er etwas sagen konnte, drehte sie sich zu ihm und sagte stirnrunzelnd: »Ich weiß alles über diesen Wagen. Und fast alles über den Fahrer.« Sie schaute Freyr in die Augen. »Er ist leider tot.«
31. Kapitel
Der Hagel hörte urplötzlich auf – im einen Moment prasselte er noch gegen die Fensterscheiben und im nächsten war alles ganz ruhig. Es war, als hätte jemand draußen gestanden und mit den Fingern den Takt geschlagen, doch als der Lärm nachließ, war die Stille wieder so unerträglich wie vorher, ein Gefühl, wie wenn man untertauchte und kein Geräusch mehr zu einem durchdrang. Das Haus, das gerade noch geächzt hatte, als beschwere es sich bitterlich über die Behandlung, wurde ebenfalls ruhig, und das Schweigen zwischen Katrín und Líf vertiefte sich nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Sie spiegelten sich in dem schwarzen Fensterglas, und wenn jemand vorbeigekommen wäre und sie gesehen hätte, hätte er die unberechenbare Natur diesen grimmigen Frauen vorgezogen. Sogar Putti, der sich normalerweise in Katríns Nähe aufhielt, hatte sich in eine Ecke verzogen, so weit weg wie möglich von den Frauen und dem Loch im Boden. Ab und zu schaute er auf, legte den Kopf schief und starrte sie abwechselnd an, wie um zu überprüfen, ob sie immer noch in Rage waren. Dann steckte er seine Schnauze wieder in den kleinen Halbkreis seines Körpers.
Katrín saß mit hochgezogenen Beinen auf einem Küchenstuhl und hatte den Kopf auf die Knie gelegt. Es war eiskalt im Raum, und man musste die wertvolle Körperwärme speichern. Sie wusste zwar nicht viel über die Grenzen des menschlichen Körpers, vermutete aber, dass sie in der Nacht erfrieren könnten, wenn sie nichts dagegen unternahmen, Brennholz holten oder zumindest in ihre Schlafsäcke krochen, die in der Stube lagen. Ihr Bein schmerzte mehr denn je, da sie es wegen der Kälte nicht ausgestreckt auf einen Stuhl legen konnte. Sie würde jedenfalls nicht rausgehen, um auch nur einen winzigen Zweig zu holen. Eher würde sie verrecken, als Líf darum zu bitten. Ihre Wut war stärker als ihr Überlebenswille, was auf gewisse Weise angenehm war, da sie die Angst überdeckte. Katrín hatte bisher noch nie einen Grund gehabt, ihre Gefühle zu kategorisieren, wusste aber jetzt, dass Wut das stärkste Gefühl überhaupt war, Angst und Sorge kamen irgendwann danach und wurden von der Wut verdrängt, die sich als strenger Herrscher entpuppte. Zweifellos würde sie irgendwann nachlassen und schwächeren Gefühlen Raum geben, aber Katrín wollte jede Minute ohne Angst genießen und sehen, wie schlecht es Líf ging – obwohl sie, was das betraf, ein bisschen enttäuscht war.
Líf wirkte nämlich keineswegs so niedergeschmettert, wie man hätte annehmen können. Sie war in erster Linie verletzt, weil Katrín ihre Sicht der Dinge nicht verstand. Sie wirkte irgendwie krank. Katrín hatte das zwar lange vermutet, es aber als Einbildung oder Eifersucht auf Lífs Fähigkeit, sich von den kleinen Katastrophen des Lebens nicht aus der Bahn werfen zu lassen, abgetan. Das einzige echte Gefühl, das sie empfinden konnte, war Angst. Angst um ihr eigenes Schicksal.
»Ich hasse dich, Líf«, sagte Katrín, als sie sich vorstellte, dass Líf sich vielleicht gar nicht so schlecht fühlte. Sie wollte alles tun, um ihr die Flucht vor der Wirklichkeit zu erschweren. »Ich hoffe, dass du heute Nacht verreckst. Oder einfach verschwindest. Das wäre die beste Lösung, dann müsste ich deine Leiche nicht sehen.«
Lífs Mundwinkel zogen sich noch weiter nach unten, doch dann lächelte sie, so als hätte Katrín einen Scherz gemacht. »Lass uns versuchen, Freunde zu sein. Das ist doch jetzt alles vorbei.«
Katrín hätte sie am liebsten angeschrien, beherrschte sich aber. Vor ihr saß eine Person, die zu allem fähig war. Und kilometerweit keine Hilfe in Sicht. Im Keller lag eine Leiche, und ein seltsames Wesen bedrohte sie und wollte ihnen etwas antun. Die Situation konnte gar nicht schlimmer werden, aber Schreien und Toben brachte nichts. Katrín biss sich auf die Lippen und verbarg ihr Gesicht zwischen ihren Knien. Sie spürte, wie der Schmerz versuchte, sich einen Weg durch ihren Schutzschild aus Wut zu bahnen. Sie zwang sich, es zu verhindern, und verdrängte die Bilder, auf denen Garðar
Weitere Kostenlose Bücher