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Geisterfjord. Island-Thriller

Geisterfjord. Island-Thriller

Titel: Geisterfjord. Island-Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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musste unbedingt mit dem Jungen reden, ohne dass er sich hinter seinen Eltern verstecken konnte. Vielleicht würde er auch einfach auflegen, aber Freyr musste es wenigstens versuchen. Während er darauf wartete, dass der Junge von der Schule nach Hause kam, las er dessen Zeugenaussage noch mal durch und verglich sie mit den Aussagen der anderen Kinder. Er machte sich auf den ausgedruckten Seiten Notizen, um die betreffenden Stellen zur Hand zu haben, wenn er den Jungen erreichte.
    Mit den Berichten im Arm und dem Telefon in der Hand saß er im Wohnzimmer und überlegte, womit er sich beschäftigen sollte, solange er wartete. Aber er hatte keine Idee und nickte, trotz des vielen Koffeins, ein, schreckte ein paarmal hoch, wenn sein Kopf auf seine Brust sank, setzte sich wieder zurecht und schlief wieder ein. Er wachte erst auf, als das Telefon klingelte, und ärgerte sich, dass er seine Zeit derart verschwendet hatte. Es war Dagný. »Ich habe Neuigkeiten, die dich wahrscheinlich überraschen werden.«
    »Ja?« Freyr gelang es nicht, wach zu klingen.
    Dagný fragte ihn nicht, ob sie ihn geweckt hätte, sondern sprach einfach weiter: »Úrsúla, deine Patientin, die mit dir über Benni geredet hat, war in derselben Klasse wie Bernódus, Halla und die anderen. Sie war nur nicht mit auf dem Klassenfoto, weil sie an dem Tag krank war oder so.«
    Freyr setzte sich auf, und seine Schläfrigkeit war im Nu wie weggewischt. »Wie hast du das rausgekriegt?« Natürlich. Úrsúla war im selben Jahr geboren wie die anderen, 1940, und musste in dieselbe Schule gegangen sein, da sie in Ísafjörður gewohnt hatte.
    »Ich habe endlich eine alte Liste von der Schule bekommen. Die hatte ich angefordert, als die Ähnlichkeiten zwischen dem Einbruch in der Schule und im Kindergarten deutlich geworden sind. Aber da ist noch mehr, Bernódus und Úrsúla scheinen gut befreundet gewesen zu sein, ich habe einen Bericht der Lehrerin gefunden, da äußert sie ihre Zufriedenheit darüber, dass Úrsúla endlich einen guten Freund gefunden hat. Sie war offenbar eine Außenseiterin. Wahrscheinlich wurde sie von ihren Klassenkameraden gemobbt, aber so direkt steht das nirgendwo, damals hat man über so was ja nicht nachgedacht. Die Formulierungen der Lehrerin sind sogar ziemlich abstoßend und hart, sie stellt sich immer auf die Seite der anderen, auf Kosten dieser beiden Schüler, die ganz offensichtlich unterlegen waren. Eine üble Lektüre, man ist nicht wirklich traurig über das Schicksal der Frau, wenn man das liest. Die Verbindung zwischen Úrsúla und Bernódus ist jedenfalls eindeutig.«
    »Könnte ich das mal sehen?« Freyr massierte seine schmerzenden Halsmuskeln, während er versuchte, sich die Sache vorzustellen. Úrsúla, das Mädchen, das alle hassten, freundet sich mit dem seltsamen neuen Schüler in der Klasse an, der auch außen vor ist. »Weißt du, was in solchen Fällen oft passiert, wenn sich zwei zusammentun, die von den anderen Kindern gehasst werden?«
    »Keine Ahnung.«
    »Die Gruppe spürt, dass es eine gewisse Stärke ist, nicht völlig isoliert zu sein, und trifft unbewusst die Entscheidung, das Band, das die beiden Außenseiter zusammenhält, zu durchtrennen. Das ist wahrscheinlich eine der schlimmsten Formen von Mobbing und der Grund dafür, warum sich die Opfer nur selten oder nie miteinander verbünden.«
    »Willst du damit sagen, dass die Kinder Bernódus umgebracht haben, damit sie Úrsúla weiter mobben können?«, fragte Dagný.
    »Nein, nicht unbedingt. Aber das ist ein sehr interessanter Aspekt. Endlich eine Verbindung. Vielleicht hilft mir das, zu Úrsúla durchzudringen, wenn es ihr etwas bessergeht.«
    »Soll ich nachher kurz bei dir vorbeischauen?«, fragte Dagný und fügte dann verlegen hinzu, so als fürchte sie, Freyr könne ihre Worte falsch interpretieren: »Ich bin eigentlich fertig für heute, gestern habe ich zwei Schichten nacheinander geschoben und will nicht länger hier sein als nötig. Es wäre einfacher, wenn ich bei dir vorbeikomme, als wenn du extra zur Wache fährst.«
    »Gerne.« Freyr legte sofort auf, denn er wusste, dass er keine Zeit verschwenden durfte, wenn er den Jungen noch erreichen wollte, bevor Dagný kam. Seine Methoden würden ihr bestimmt nicht gefallen. Er wählte die Nummer und wippte nervös mit dem Fuß, während es klingelte. Als er sich schon damit abfinden wollte, dass er es morgen noch mal probieren musste, wurde doch noch abgenommen, und eine unschuldige

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