Geisterfjord. Island-Thriller
versucht hatte. Sie hätte es bestimmt perfekt gefunden, ihren Mann mit seinem besten Freund zu betrügen und ihm das bei einer guten Gelegenheit aufs Brot zu schmieren. Garðar hatte der Versuchung wohl nur wegen seiner Freundschaft zu Einar widerstanden und sich nicht vorstellen können, seinen Kameraden aus der Kindheit und besten Freund zu hintergehen. Für Katrín galt das offenbar nicht, denn er hatte die erstbeste Gelegenheit genutzt, mit Líf ins Bett zu gehen, als Einar tot war. Líf hatte sich zunächst ein anderes Opfer gesucht, einen Arzt, der ihr helfen sollte, ihre Ehe zu retten. Was für ein Witz.
Líf hatte zwar nicht durchblicken lassen, dass sie für Einars Tod mitverantwortlich war, aber das war auch gar nicht nötig. Einar hätte sie garantiert verlassen, sobald er sichergestellt hätte, dass ein Großteil des Geldes ihm zufallen und Líf leer ausgehen würde. Und dazu noch die Erniedrigung. Katrín kannte Lífs Denkweise inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie sich damit nie abgefunden hätte. Deshalb musste Einar weg, und das hatte sie irgendwie geschafft. Katrín wusste es einfach; so, wie man wusste, dass es gefährlich war, zu nah an einem steilen Felsabhang zu stehen, war ihr vollkommen klar, dass es genauso gefährlich war, Líf zu nahe zu kommen. Ein Mensch, der unfähig war, seine Taten zu bereuen, war unberechenbarer als ein Felsabhang, vor dem man sich leicht schützen konnte, indem man sich in sicherer Entfernung hielt. Aber eine sichere Entfernung zu Líf war an diesem Ort nicht möglich. Katrín schwor, sich nie wieder unter ein Dach mit dieser Frau zu begeben, falls sie jemals wohlbehalten zurück nach Reykjavík kämen. Niemals.
Eine ganze Weile sagte keine von ihnen ein Wort. Unterdessen wurde es noch kälter. Von ihren Lippen stiegen Atemwölkchen auf, und Katrín spürte, dass sie ihre Finger nicht mehr richtig bewegen konnte. Sie zog die Ärmel ihres Pullis über ihre Hände, aber das brachte nicht viel.
»Wer ist die Leiche im Keller?«, fragte Líf und starrte sie an. Katrín wäre ihrem Blick gerne ausgewichen, aber sie musste ihn einfach erwidern. Aber sie antwortete nicht. Líf ließ sich davon nicht bremsen und redete unbeeindruckt weiter. »Auf dem Bild sieht man eine Tasche. Eine altmodische Schultasche.« Sie beugte sich verschwörerisch vor und flüsterte, so als seien sie Freundinnen, die ein Geheimnis miteinander teilen: »Und überall liegen Muscheln.«
Katrín sagte nichts, drehte sich von ihr weg und ließ den Kopf wieder auf ihre Knie sinken. Sie hatte keine Ahnung, wer da unten lag, wahrscheinlich waren es die Knochen des Jungen, der hier herumirrte. An dem Skelett auf dem Bild klebte noch Stoff, der dem Mantel ähnelte, den der Junge getragen hatte.
»Das ist bestimmt der Geist, Katrín. Seine Gebeine. Ich glaube, an der einen Hand fehlen die Finger. Ob der Fuchs unter der Terrasse die Leiche aufgespürt hat? Und der Geist den Fuchs dann getötet hat, um sich für die verlorenen Finger zu rächen?« Líf schien den Streit zwischen ihnen ganz vergessen zu haben. Katrín konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber ihre Stimme klang so, als wäre gar nichts vorgefallen. »Vielleicht verschwindet er jetzt, nachdem wir die Falltür aufgemacht haben. Ich bin mir sicher, dass er das die ganze Zeit erreichen wollte. Dass wir seine Knochen finden, deshalb hat er auch den früheren Hausbesitzer getötet. Der hat die Falltür aus Versehen zugesperrt, und es bestand kaum noch eine Chance, dass die Knochen gefunden würden. Das haben wir ja jetzt gemacht, es sollte also alles in Ordnung sein.« Líf hatte zwar selbst nichts dazu beigetragen, brüstete sich aber natürlich mit der Arbeit. »Hoffe ich zumindest«, flüsterte sie.
Katrín hatte das Gefühl, sich in einem Albtraum zu befinden. Sie schaute nicht auf, sondern sprach in ihre Knie: »Warum habt ihr euch mit diesem Haus rumgeschlagen? Warum hat Garðar mich nicht einfach verlassen, ohne mich in diesen Quatsch mit reinzuziehen? Dir gehört doch jetzt Einars ganzes Geld. Ich verstehe euch nicht. War Garðar genauso verrückt wie du?« Líf murmelte etwas Undeutliches, aber Katrín hatte genug verstanden. »Du wolltest Garðar mit seinen ganzen Schulden nicht? Hast du das gesagt? Obwohl du so viel Geld hast, dass du für den Rest deines Lebens keinen Finger mehr krumm machen musst?«
»Ich zahle nicht die Schulden anderer Leute. Das ist ungerecht. Es war Garðars Idee, und ich habe versucht, ihn davon
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