Geisterfjord. Island-Thriller
nackt in Lífs Armen schlief. Das war nicht leicht, denn obwohl sie es nicht geschafft hatte, die Fotos genauer zu studieren, hatten sie sich in ihr Gehirn gebrannt, und sie konnte sich problemlos an die winzigsten Details erinnern. Die beiden hatten zusammen in einem großen Bett gelegen; das unpersönliche, gepflegte Ambiente ließ auf ein Hotelzimmer schließen, wahrscheinlich in Ísafjörður. Garðar hatte die Augen geschlossen, schlief entweder tief und fest oder war erschöpft vom Sex. Lífs Gesicht sah überhaupt nicht müde aus, sie lächelte barbusig in die Kamera, die sie selbst in der Hand hielt. Garðar lag auf allen Fotos in derselben Position, während Líf auf unterschiedliche Weise posierte, wie ein Jäger auf Safari, der Fotos von sich und seiner Beute machte. Wie sie auf die Idee gekommen war, solche Fotos zu machen, war Katrín ein einziges Rätsel, und sie konnte sich nicht vorstellen, sie danach zu fragen. Es handelte sich zweifellos nur um ein Symptom ihrer Krankheit.
Der Docht am Kerzenstumpf flackerte. Katrín sah Angst in Lífs Augen aufblitzen, und ein wohliges Gefühl strömte durch ihren Körper. Wenn sie sich getraut hätte, mit Líf im Dunkeln zu sitzen, hätte sie sich vorgebeugt und die Kerze ausgeblasen, nur um Líf noch mehr in Panik zu versetzen. Doch der Gedanke, mit einer Verrückten alleine ohne Licht in einem Raum zu hocken, war nicht sehr verlockend. Andererseits würde die Kerze ohnehin jeden Moment ausgehen, der Stumpf ragte nur noch ein kleines Stück aus dem Kerzenständer.
»Die Kerze geht bald aus, Líf. Was willst du dann machen? Du kannst die Toten nicht betören. Vielleicht geht Garðar jetzt auch um.« Lífs Augen weiteten sich einen Moment lang und wurden dann wieder klein. »Du bist ekelhaft, Líf.« Katrín spuckte die Worte nur so aus. »Ekelhaft.«
»Ich hab mich bei dir entschuldigt, was soll ich denn noch machen?« Líf klang verletzt und schien sich als Opfer der ganzen Geschichte zu sehen. »Garðar und ich waren immer ineinander verliebt, schon ganz lange. Es ist einfach passiert. Wir konnten nichts dagegen tun.«
»Halt den Mund!«, rief Katrín, obwohl sie es nicht wollte. Sie konnte es nicht ertragen, Lífs Version von ihrer Beziehung zu Garðar noch einmal zu hören. Líf hatte ihr zwar die ganze Geschichte erzählt, aber ihr Blickwinkel war so begrenzt und subjektiv, dass Katrín zwischen den Zeilen lesen musste, um die Wahrheit herauszuhören. Wenn ihre Intuition sie nicht trog, war ihr ganzes Leben seit dem Beginn ihrer Beziehung zu Garðar nur Show gewesen. Und sie war die Einzige, die nicht gewusst hatte, dass ihr näheres Umfeld nur eine Kulisse gewesen war. Vielleicht hatte sie das damals nicht sehen wollen, aber nachdem die giftigen Worte aus Lífs hübsch geformtem Mund geströmt waren, wusste sie es. Vielleicht war sie zu verliebt gewesen, um wahrhaben zu wollen, was sie jetzt endlich begriff. Garðar hatte sie nie geliebt. Sie war einfach nur zufällig da gewesen an dem Abend, als Líf Einar und nicht ihn gewählt hatte. Vielleicht dachte er, Líf würde es missfallen, ihn mit einer anderen Frau zu sehen, und ihre Meinung ändern. Aber da lag er völlig falsch. Líf genoss es, ihn leiden zu sehen, und wusste, dass sie ihn haben konnte, wann immer sie wollte. Wahrscheinlich liebte Líf Garðar genauso wenig wie Garðar Katrín liebte, sie fand es einfach nur bequem, ihn als eine Art Sicherheitsventil im Hintergrund zu haben, als Rettungsring, den man nicht täglich benutzte, aber ab und zu mal brauchte.
Es war alles so seltsam und unverständlich, dass es Katrín schwindelte. Offenbar hatte Líf Einar nur aus finanziellen Gründen vorgezogen, auch wenn sie das nicht so direkt sagte. Aber ihre Worte ließen sich nicht anders deuten. Bei Einar hatte sich abgezeichnet, dass er mehr Geld verdienen würde als Garðar, und deshalb war klar, dass er sie bekommen würde und sie dafür ihn und sein Geld. Doch dann wandte Einar sich von ihr ab. Natürlich merkte er, dass die Liebe und der Charakter seiner Frau nicht echt waren. Vielleicht machte er keinen reinen Tisch und reichte nicht die Scheidung ein, weil Líf völlig emotionslos war und er befürchtete, sie könne ihm schaden, vielleicht wusste sie etwas über seine Geschäfte, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Líf hatte es ihm heimgezahlt, und Katríns einziger Trost war der, dass ihre Affäre mit Garðar damals noch nicht begonnen hatte, wobei sie vermutete, dass Líf es
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