Geisterfjord. Island-Thriller
erzählt, als sie damals das Haus gekauft hatten. Obwohl Katrín sauer auf Garðar war, weil er ihr die Sache verheimlicht hatte, meinte sie, ihn in Schutz nehmen zu müssen. Bisher hatte sie nur zugehört, wie Garðar und Líf die Geschichte von vorne bis hinten durchgekaut hatten, aber nachdem sie im Spiegel gesehen hatte, dass sie nicht zu einem Monster mutiert war, fasste sie wieder Mut.
»Bist du dir ganz sicher, dass der Mann hier verschollen ist? Nicht auf See oder bei einer Wanderung?«, fragte sie.
»Laut Einar war es hier.« Garðar öffnete die Kiste. »Er hatte dasselbe vor wie wir, das Haus zu renovieren, und als man ihn wieder abholen wollte, war er weg. Ich hab keine Ahnung, was genau passiert ist, er wurde jedenfalls nie gefunden. Ich wollte euch nicht beunruhigen, aber wegen dieses seltsamen Einbruchs gestern Abend sieht die Sache schon anders aus.«
»Das Kind hat den Typen umgebracht.« Lífs Tonfall duldete keine Diskussion. »Ihn die Treppe runtergestoßen und dann erwürgt.«
»Es spielt jetzt keine Rolle, wie der Mann zu Tode gekommen ist. Wir sehen uns die Sachen mal an, vielleicht ist ja was Aufschlussreiches dabei«, sagte Garðar, ohne den Frauen in die Augen zu schauen. »Damit wart ihr einverstanden, wisst ihr noch?«
Katrín hatte weder zugestimmt noch widersprochen. Es war ihr schon schwer genug gefallen runterzugehen. Sie hatte sich mühsam die Stufen hinuntergetastet und in die Küche geschleppt, sich zitternd hingesetzt und dem Gespräch der beiden gelauscht. Sie wäre niemals runtergegangen, wenn Garðar die Kreuze nicht aus dem Haus geworfen und ihr versichert hätte, dass keine weiteren Spuren dazugekommen seien.
»Hast du nicht gesagt, er wäre vor drei Jahren verschwunden?«, fragte Katrín und hoffte inständig, dass die beiden Vorfälle nichts miteinander zu tun hatten, aber je länger sie darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher kam ihr das vor. »Ich schätze, dieses Kind ist nicht älter als elf oder zwölf. Vor drei Jahren wäre es acht oder neun gewesen. Ein so kleines Kind kann doch keinen Mann umgebracht und die ganze Zeit hier gehaust haben.«
»Es sei denn, es ist jemand bei ihm«, sagte Líf messerscharf und konnte ihre Genugtuung, eine so schlaue Theorie aufgestellt zu haben, nicht verbergen.
Garðar antwortete nicht und kramte in der Kiste herum. »Wer weiß, ob hier nicht ein Funkgerät drin ist. Dann müssen wir nicht auf den Berg. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kann gut darauf verzichten.«
Katrín sah zum Fenster, wo sich der Ausblick geändert hatte. Statt der trüben Erdfarben der schlafenden Pflanzen war alles schneeweiß. Der Regen hatte sich über Nacht in dicke Schneeflocken verwandelt, und über der Landschaft lag eine dünne Schneedecke. Es war heller geworden, aber Katrín verspürte trotzdem kein Verlangen, auf den Berg zu klettern. Sie war einfach zu fertig, außerdem konnte sich unter dem Schnee eine Eisschicht verbergen, und sie hatten keine Steigeisen dabei. Da sie zu dritt waren, konnten sie sich nicht in zwei Gruppen aufteilen, ohne dass einer allein bleiben musste. Ein Windstoß wirbelte den Schnee vor der ruinierten Terrasse hoch, und sanfte Schneeflocken zeichneten die tanzenden Bewegungen des Windes in der Luft nach. Dann wurde es windstill. Katrín richtete ihren Blick wieder auf den Küchenboden und die staubigen Kisten, die auf zwei Stapeln nebeneinander standen. Garðar hatte aus der ersten Kiste ein paar Dinge genommen: zwei Bücher, einen Hammer, ein Portemonnaie und eine Taschenlampe. Katrín reckte sich nach der Lampe und versuchte, sie einzuschalten, aber die Batterie war leer.
»Braucht man für ein Funkgerät nicht auch Batterien?« Líf ging zu Katrín, die auf dem Hocker kauerte, und nahm das Portemonnaie in die Hand.
»Ich weiß nicht, aber wenn hier überhaupt ein Funkgerät ist, dann läuft es bestimmt mit Batterien«, antwortete Garðar, während er die Gegenstände in der Kiste sortierte, um weiter nach unten zu dringen. »Verdammter Krempel.«
»Wer das wohl eingepackt hat?« Katrín legte die Taschenlampe beiseite und zupfte geistesabwesend an dem Klebeband an der Seite der Kiste. »Der Mann hat ja wohl nicht die ganzen Kisten eingeräumt, bevor er verschwunden ist.«
»Vielleicht die Rettungsleute, die nach ihm gesucht haben. Oder jemand, der was mit dem Nachlass zu tun hat.« Garðar zog zwei Küchentücher aus der Kiste und musterte sie. »Die Sachen sind einfach nur in die Kiste
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