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Geisterfjord. Island-Thriller

Geisterfjord. Island-Thriller

Titel: Geisterfjord. Island-Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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kann?«
    »In meinen passt die nicht, meine Karte ist viel kleiner«, antwortete Líf.
    Katrín reckte sich nach der Speicherkarte. »Die ist wie die in unserem Fotoapparat.« Sie hatten sich vor fünf Jahren eine Kamera gekauft, damals topaktuell, aber heute im Vergleich zu Lífs funkelndem Gerät ein Witz. »Aber ich weiß nicht, ob man damit auch Filme anschauen kann.«
    Garðar eilte in den Vorraum, kam mit dem Fotoapparat zurück, holte die Speicherkarte heraus und steckte die andere hinein. Als der Apparat ansprang, grinste er bis über beide Ohren. »Na, also!« Er hielt den Frauen das kleine Display vor die Nase, und sie schauten sich die Filme aus dem ersten Ordner auf der Karte an. Die meisten waren vom Haus und der Umgebung und zeigten Reparaturen und Arbeitsgänge. »Er wollte die Arbeit, die er ins Haus gesteckt hat, dokumentieren. Der hatte wohl zu viel Zeit.« Garðar klickte zur Übersicht mit den weiteren Ordnern. »Hier sind ein paar ganz schwarze Filme.« Er runzelte die Stirn und versuchte, einen davon abzuspielen. Líf und Katrín reckten sich über seine Schultern, um besser sehen zu können. Katríns Kopfschmerzen waren schwächer geworden, als sie aufgestanden war, aber ihr restlicher Körper schmerzte bei jeder Bewegung.
    Sie sahen einen stockdunklen Film und spitzten die Ohren, um die undeutlichen Geräusche aus dem kleinen, eingebauten Lautsprecher hören zu können. Ein paarmal wiederholte sich das ihnen vertraute Knirschen und Knacken, bevor die Aufnahme plötzlich abbrach. Garðar klickte die nächste an, die ebenfalls so dunkel war, als wäre das Display gar nicht eingeschaltet. Er wollte den Film gerade stoppen und einen anderen ausprobieren, als ein rhythmisches Knarren, wie sie es von den Holzböden im Haus kannten, aus der Kamera drang. Als der entsetzte Kameramann auf einmal etwas flüsterte, hätte Garðar fast den Apparat fallen lassen:
    »Er ist im Haus.«

14. Kapitel
    Was war Zufall? Darüber hatte sich Freyr auf dem Weg zur Polizeiwache den Kopf zerbrochen. Sein Arbeitstag war unerträglich langsam vergangen, als hätte sich die Leere, in der er steckte, mit zähem Honig gefüllt. Dennoch hatte er es auf wundersame Weise geschafft, seine Arbeit zu verrichten, ohne dass jemand merkte, wie durcheinander er war. Am Ende seiner Schicht hatte er das Krankenhaus im Laufschritt verlassen. Als er im Auto saß, steckte er mit zitternder Hand den Schlüssel ins Zündschloss. Dagný hatte versprochen, sich mit dem Verschwinden des Jungen in Ísafjörður vor fast sechzig Jahren zu befassen. Solange Freyr beschäftigt gewesen war, hatte er nicht darüber nachgedacht, was diese Tragödie mit dem Fall seines Sohnes zu tun haben könnte. Als er auf dem Weg zur Polizeiwache endlich Zeit zum Überlegen hatte, schwand seine schwache Hoffnung, vielleicht eine Erklärung für Bennis Verschwinden zu finden.
    Die beiden Vermisstenfälle waren sich zwar unglaublich ähnlich, aber es lag viel zu viel Zeit dazwischen, als dass es eine Verbindung hätte geben können. Wobei … Freyr mochte keine Zufälle – dafür gab es am Ende meistens doch vernünftige Erklärungen. Aber was genau war ein Zufall? Wenn zwei ähnliche Ereignisse in kurzem Abstand passierten? Waren sechzig Jahre kurz? Wenn zwei Meteore mit einigen Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden Abstand an derselben Stelle auf der Erde landeten, galt das als kurzer Zeitraum. Aber wie war das mit Ereignissen im Leben von Menschen? Waren ein paar Jahrzehnte eine zu lange Zeit, um als Zufall zu gelten? Freyr war sich nicht sicher. Kinder verschwanden nur selten spurlos, wenn auch leider öfter, als dass Meteore durch die Erdatmosphäre sausten und an derselben Stelle aufprallten. Je seltener etwas geschah, desto größer musste der Abstand zwischen den Ereignissen sein, um als Zufall zu gelten. War die ganze Sache also letztendlich nur Zufall?
    Freyr wusste, dass es helfen würde, diese Überlegungen laut auszusprechen, sie in Sätze zu fassen und zu hören, wie sie klangen. Dennoch schaffte er es nicht, seine Gedanken zu formulieren, als er neben Dagný auf der Polizeiwache saß. Stattdessen krallte er sich mit einer Hand an der Kante des wuchtigen Tisches fest, der zweifellos für die Ewigkeit gemacht war, und blätterte mit der anderen durch alte Polizeiberichte. Er musste sich zwingen, sich darauf zu konzentrieren. Dagnýs angestrengter Miene nach zu schließen, hatte sie keine Konzentrationsprobleme, obwohl sie am Ende eines langen

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