Geisterfjord. Island-Thriller
sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie am Fuß der Treppe gelegen und verwirrt in Garðars und Lífs besorgte Gesichter geschaut. Durch den sich langsam lichtenden Nebel waren deren Worte in ihr Bewusstsein gedrungen, was wohl der Grund dafür war, dass sie sich mit dem Unfall so gut abfand. Líf hatte nämlich geglaubt, sie sei tot, und in ihrem seltsamen Zustand hatte Katrín das auch geglaubt und gespürt, wie sie von Trauer über ihren eigenen Tod ergriffen wurde. Als Garðar gesagt hatte, er fühle ihren Puls, war sie ungeheuer erleichtert gewesen, und alles andere war unwichtig geworden, die Schmerzen und das Dröhnen in ihrem Kopf, an das sie sich langsam gewöhnte.
»Bist du dir sicher, dass dir nicht schlecht wird?«, fragte Garðar und musterte Katrín. An seinem Gesicht ließ sich ablesen, wie schlimm sie aussehen musste. »Wenn du eine Gehirnerschütterung hast, müssen wir was unternehmen.« Er machte keinen Vorschlag, was sie unternehmen sollten, und Katrín bezweifelte, dass er irgendeine Idee hatte. Sie hatten vereinbart, den Kapitän anzurufen und ihn zu bitten, sie abzuholen, und konnten im Grunde nichts tun, bis Hilfe eintraf.
»Nein, mein Magen ist das Einzige, was mir nicht weh tut.« Katrín war heiser und hatte noch nicht viel gesagt, seit sie wieder zu sich gekommen war. Nach dem Schock hatte sie viel wirres Zeug geredet und war darüber eingeschlafen, nachdem Garðar und Líf sie nach oben in ihren Schlafsack verfrachtet hatten. Die Worte waren völlig zusammenhanglos und von Schluchzern unterbrochen aus ihr herausgesprudelt. Garðar und Líf, die versucht hatten, sie zu trösten, waren völlig überfordert gewesen. Schließlich hatte Katrín Trost im Schlaf gefunden, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatte. Sie war durchs Land der Träume geschwebt, in dem Garðar und sie frisch verheiratet und ziemlich glücklich gewesen waren. Obwohl sie sich nicht mehr genau an den Traum erinnern konnte, wusste sie noch, dass sie damit gerechnet hatte, beim Aufwachen ein trauriges, kleines Wesen neben sich zu sehen, das sie aus seiner dunklen Kapuze heraus anstarrte. Erst hatte sie sich nicht getraut, die Augen aufzumachen, aber dann war alles ganz harmlos gewesen und sie hatte nur die schmutzige Zimmerdecke gesehen.
Katrín massierte ihre Stirn. »Hast du einen Spiegel, Líf?« Sie war neugierig, obwohl sie eigentlich gar nicht wissen wollte, wie sie aussah. Als sie den kleinen Kosmetikspiegel in der Hand hatte, musste sie erst zweimal schlucken, bevor sie ihn sich vors Gesicht hielt. Zum Glück sah sie besser aus als erwartet: eine Hautabschürfung an der Wange und eine blau angelaufene Schwellung unter dem Auge. Sie hielt den Spiegel etwas höher und berührte den großen, roten Fleck an ihrem Haaransatz.
»Das geht alles wieder weg.« Líf stand neben Katrín und lächelte mitleidig. »Du wirst wieder hübsch.« Sie warf Garðar einen Blick zu. »Falls dieser Junge es nicht schafft, dich umzubringen.«
Garðar versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn dieses Gerede nervte. Líf hatte seit dem Aufwachen ununterbrochen Monologe über die besorgniserregende Entwicklung der Dinge gehalten, obwohl sie beschlossen hatten abzureisen. Líf war davon überzeugt, dass der Junge hinter dem Unfall steckte, da die Tür so schnell und unerwartet aufgegangen war. Garðar behauptete hingegen, es sei Durchzug gewesen, dabei waren alle Fenster geschlossen. Katrín traute sich nicht, eine Meinung zu äußern, zumindest nicht laut. Tief im Inneren wusste sie, dass der Wind die Tür nicht aufgestoßen hatte, bewunderte jedoch Garðars Beharrlichkeit, das Offensichtliche und Unangenehme auszublenden.
»Hör auf mit dem Unsinn, Líf, und denk nicht mehr daran. Es bringt nichts, darüber zu spekulieren.« Garðar schnitt mit dem Teppichmesser das braune Klebeband an einer der Kisten durch, die der Voreigentümer zurückgelassen hatte. »Solange wir warten, bis es richtig hell ist, können wir uns ja mal die Sachen anschauen. Und gleich gehen wir auf den Berg und rufen den Typen mit dem Boot an. Ich dachte, darüber wären wir uns einig.«
»Das war, bevor du uns erzählt hast, was mit dem Voreigentümer passiert ist. Ich fasse es nicht, wie du das für dich behalten konntest«, entgegnete Líf und machte einen Schmollmund. »Ich wäre nie mitgekommen, wenn ich das gewusst hätte.«
Katrín glaubte ihr nicht. Líf hörte nur das, was sie hören wollte. Einar hatte ihr bestimmt von der Geschichte
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