Geisterhauch (German Edition)
gesessen und uns über Jungen unterhalten.«
Ach du dickes Ei. Das wurde ja immer besser. »Okay, lass mich nachdenken.« Ich rieb mir die Stirn. »Erzähl mir noch mal, warum du mit Tommy zum Essen verabredet warst.«
Ihre Brauen wölbten sich. »Er bat mich um ein Treffen. Ich hatte Angst, Nein zu sagen. Er erzählte, dass ihn jemand erpresst und dass er mit seiner Schuld nicht mehr leben kann.«
Erpressung hatte häufig diese Wirkung. Erstaunlich.
»Er hatte sich schon mit Kyle getroffen und ihm gesagt, dass er zur Polizei gehen und für seinen Anteil an der Sache die Verantwortung übernehmen wollte. Er fragte mich, ob ich seine Aussage stützen würde. Er wollte der Polizei erzählen, wie sie Kyle und mir gedroht und uns gezwungen haben, mit zum Friedhof zu fahren.«
Das brachte meine sämtlichen Theorien ins Wanken. »Kyles Familie hat Geld, und du bist mit einem reichen Mann verheiratet, aber ihr wurdet beide nicht erpresst?«, fragte ich ungläubig.
»So ist es. Aber wir glauben zu wissen, wer der Erpresser war.«
»Wirklich?«
»Tommy dachte an Jeff Hargrove.«
»Moment, ausgerechnet der Kerl, der selbst wegen Vergewaltigung und Mord ins Gefängnis gehört hätte? Dieser Jeff Hargrove?«
»Ja. Tommy glaubte, dass Jeff in finanziellen Schwierigkeiten steckte, und meinte, bei Tommys Autohandel wäre was zu holen. Und Tommy hatte recht. Ich spionierte in Jeffs Bankkonten …«
Verdammt, sie war gut.
»… und die Summen, die Tommy abgehoben hatte, waren noch am selben Tag eingezahlt worden – dreimal.«
Wow. Trotzdem waren sie beide tot.
»Kyle rief mich später an«, fuhr sie fort, »und erzählte, dass Tommy sich bei ihm entschuldigt hat, weil er ihm wahrscheinlich die politische Karriere ruiniert.«
»Das ist ein ziemlich gutes Mordmotiv«, sagte Cookie.
»Nein, Kyle war das egal. Er wollte sich mit Tommy zusammen bekennen. Er wollte heute eine Rede halten, mit Tommy an seiner Seite, und öffentlich erklären, was damals passiert ist.«
Mutig. »Vielleicht hat er es sich anders überlegt.«
Sie seufzte frustriert. »Ihr kennt Kyle nicht. Was ihr unterstellt, widerspricht seinem Charakter total, ist einfach unrealistisch. Er fand, dass sein Leben eine Lüge ist, weil er seine Homosexualität verleugnet.«
Ich fuhr mir erschöpft durchs Gesicht. Mir tat der Kopf nicht nur von der Gehirnerschütterung weh. Und ich hatte geglaubt, den Fall schon gelöst zu haben. Das kam dabei heraus, wenn ich dachte. »Okay«, sagte ich mit kraftloser Stimme, »was tat Kyle, nachdem du aus Albuquerque weggezogen warst? Haben ihn die anderen in Ruhe gelassen?«
Sie presste achselzuckend die Lippen zusammen. »Er ist ein guter Schauspieler. Er konnte Jeff irgendwann überzeugen, dass er auf ihrer Seite war. Als das Schuljahr vorbei war, zog er den Sommer über zu seiner Großmutter.«
»Hat dich nach dem Treffen mit Tommy jemand bedroht? Bist du deshalb untergetaucht?«
»Es passierte kurz nachdem ich mitbekommen hatte, dass alle ums Leben kamen. Dadurch war auch meine Familie in Gefahr. Solange es jemand auf mich abgesehen hatte, wäre keiner in meiner Nähe sicher gewesen. Also stieg ich eines Tages in ein Taxi und floh. Wäre das Feuer nicht gewesen, wäre ich jetzt in Spokane.«
»Du hast dafür gesorgt, dass du am Leben bleibst«, sagte Cookie. »Jetzt müssen wir dich in Sicherheit bringen.«
Ja, während ich mir den Kopf zerbrach, was eigentlich lief.
Das Licht ging aus, im Haus herrschte eine unheimliche Stille. Ich zischte durch die Zähne, damit Mimi und Cookie keinen Mucks von sich gaben, dann lief ich geduckt zur Bürotür und spähte in den Flur. Ein Notlicht beschien eine große Gestalt, die reglos am Boden lag. Höchstwahrscheinlich der Hulk.
»Scheiße«, flüsterte ich und konnte es kaum glauben. »Die sind uns gefolgt?« Ich musste zukünftig unbedingt aufpassen, wer hinter mir herlief. Das wurde mir allmählich zu blöd.
»Wer?«, fragte Mimi. Ihr schrilles Geflüster hallte über den Flur.
Cookie legte einen Finger an die Lippen und brachte sie zum Schweigen. Ich nahm Mimi an der Hand, Cookie ebenfalls, dann rannten wir den Flur hinunter zu dem Hinterausgang, der mir zuvor aufgefallen war. Wir schlängelten uns so leise wie möglich zwischen Kisten und Säcken hindurch, bis wir vor der Hintertür standen. Zum Glück war der Regen, der aufs Dach prasselte, lauter als wir. Die Tür hatte eine Notentriegelung, doch die würde einen Alarm auslösen, sodass ich zögerte, sie zu
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