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Geisterjagd

Geisterjagd

Titel: Geisterjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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ihre Augenpartie.”
    Ein sich bewegender Nebel breitete sich über den Schirm aus, dann sahen große, runde, violette Augen sie unter dem Schaum blonder Locken hervor an. Sie starrte in diese Augen hinein. Der Schatten der unteren Gesichtshälfte war anders, radikal verschieden von dem der anderen Bilder, die sie so gut kannte, deshalb ignorierte sie es, starrte nur in die abgebildeten Augen, als könnte sie sie zwingen, ihr zu antworten. „Die anderen Bilder, bring sie auf den Schirm. Nur die obere Gesichtshälfte.”
    Stumm kam Tamris ihrer Anweisung nach, nur halb von dem überzeugt, was sie tat, skeptisch, als sie die erstarrten Gesichter sah
    - sie erinnerte sich zu gut an das, was sich bisher getan hatte. Doch sie legte die Gesichter auf den Schirm, strukturierte sie um, damit sie der Neigung und dem Winkel des Gesichts der Begleiterin entsprachen. Zuerst hatte sie eine beträchtliche Mühe damit, die Details überhaupt anzupassen.
    Tamris verwackelte das Bild leicht und versuchte es wieder. Die Nasenlinie über dem Schleier verlief richtig. Die inneren Augenwinkel stimmten mikroskopisch genau überein, die Detailpunkte der Knochenstrukturen paßten ebenfalls exakt zueinander, obwohl die Schädelachse differierte; die Linie des Unterkiefers und der Schatten des Mundes - durch den Schleier zu sehen - paßten nirgendwo.
    Aleytys stieß den angehaltenen Atem aus. „Und jetzt zeig mir die Begleiterin in Bewegung, hol sie so gut heraus, wie du nur kannst.”
    Und sie sah aufmerksam zu, als Tamris einen jeden Bildfetzen aus den Computeraufzeichnungen abrief und über den Bildschirm huschen ließ. „Genug. Versuch jetzt, das Gesicht des Mannes anzugleichen.” Sie sah noch mehrere Minuten lang schweigend zu, dann lehnte sie sich zurück und schloß die Augen. „Spür sie auf. Identität und Ziel.”
    „Der Mushti-Junge hat besser gepaßt.”
    „Hat sich falsch bewegt, hat sich falsch angefühlt. Die Augen der Begleiterin - ich kenne sie. Die Augen seines Vaters, bevor sie ihm ausgebrannt worden sind. Meinetwegen.” Noch mit geschlossenen Augen setzte sie hinzu: „Der Begleiter hat eine ganz besondere Art, den Kopf zu bewegen - ich kann nicht sagen: Begleiterin - ein Auge verengt sich ein wenig, wenn er verblüfft oder belustigt ist, und dann: wie er sein Kinn vorruckt. Genug.” Stumm lehnte sie sich zurück, während Tamris weiterarbeitete; nach einer Weile öffnete Aleytys die Augen wieder. „Nun, wie nennt sich unser Geist dieses Mal?”
    „Mhmm, richtig, ich hab’s. Die sehr ehrenwerte Vijayne Gracia Belagar von Clovel, gemeldet im Kasino auf Zufall, in der Südwabe.”
    „Mach einen Fotoabzug und schalte ab. Warte …” Sie blinzelte zur Decke hinauf. „Sag mir die genaue Zeit. Hier und auf Treibjagd.”
    Abermals schloß sie die Augen.
    „Mhmmm. Hier: zehnte Stunde plus fünfunddreißig. Willst du’s noch genauer?”
    „Ich laufe kein Rennen.”
    „Ach? Sieht aber so aus - wenigstens für mich.” Tamris grinste.
    „Es war ein Scherz, verehrte Ältere. Dreizehnte Stunde und fünfunddreißig auf Treibjagd.”
    „Dann hat dort die Konferenz mittlerweile begonnen.”
    „Uh-huh! Du glaubst, der Geist hat es auf sie abgesehen?”
    „Keine Ahnung. Hast du den Abzug?”
    „Wenn du deine Augen aufmachen würdest, könntest du ihn sehen. Soll ich dir damit zufächeln, damit du den Luftzug spürst?”
    „Sei nicht ironisch, Lehrling. Sei nur still - ich muß überlegen.”
    „Aber…” Tamris verstummte und wandte sich ab.
    Aleytys lächelte. Tamris hatte erst ziemlich spät erfaßt, in welchem Dilemma sie sich befand. Nicht nötig, der Aufzeichnung in der Gürtelschnalle zuvorzukommen - sollten sie sich damit abquälen.
    Das Lächeln verging. Was soll ich tun, fragte sie sich. Ich habe nicht viel Zeit, höchstens fünf Minuten. Die Bilder vor dem Lethe-Band wirbelten durch ihren Verstand, während sie wie erstarrt in ihrem Sessel saß, die Augen zugepreßt, bemüht, ihre Loyalitätsverpflichtungen abzuwägen. Harskari und Shadith erblühten in ihrem Geist aus der Dunkelheit heraus, doch sie sagten nichts, waren allein da, um zu trösten und sie zu stärken, ganz gleich, wie sie sich entschied.
    Und - sie stellte ihnen keine Fragen; dies war eine Entscheidung, die sie ganz allein treffen mußte, eine, mit der sie leben mußte, ganz gleich, wie es ausging. Tränen brannten in ihren Augen und sickerten unter ihren geschlossenen Lidern hervor. Beide Seiten appellierten mit gleicher Intensität an

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