Geisterreigen
ihrer Meinung nach zu wenig esse."
"Ich würde sehr gerne bleiben, Miß Rowland, aber ich werde noch bei einigen Patienten erwartet." Timothy seufzte auf. "Aber falls Sie Ihre Einladung auf einen anderen Tag verlegen könnten, hätte ich nichts dagegen."
"Wie wäre es dann mit Sonntag? Am Sonntag müssen Sie bestimmt nicht arbeiten."
"Es sei denn, ich werde zu einem Notfall gerufen, was leider öfters vorkommt", erwiderte er auf dem Weg zum Parkplatz. "Falls etwas dazwischenkommen sollte, rufe ich Sie an."
"Einverstanden." Sie reichte ihm zum Abschied die Hand.
Der junge Tierarzt stieg in seinen Wagen. Er winkte ihr zu, wendete und fuhr davon. Durch den Rückspiegel konnte er sehen, daß ihm Diana nachblickte. Was für ein zauberhaftes Mädchen, dachte er und bog durch das Parktor.
Langsam wandte sich Diana um. Sie bemerkte, daß eines der Hausmädchen sie vom Portal aus beobachtet hatte. "Finden Sie Doktor Lansing auch so nett wie ich, Daisy?" fragte sie herausfordernd.
Daisy errötete. "Fast alle Mädchen in Alberry sind in ihn ve rliebt", erwiderte sie. "Wenn nicht mein Bert wäre, Doktor Lansing könnte mir auch gefährlich werden."
"Wer ist Bert?"
"Wir waren schon als Vierzehnjährige ineinander verliebt." Das Rot auf Daisys Wangen vertiefte sich. "Berts Eltern besitzen den Nachbarhof. Unsere Väter sind Freude."
"Dann wollen Sie sicher irgendwann heiraten", meinte Diana.
Daisy nickte. "Nächstes Jahr. Wir..." Sie blickte zu Boden. "Bert sieht es nicht gerne, daß ich auf Rowland Castle arbeitete. Aber ich habe ihm gesagt, daß ich nichts zu befürchten habe. Schließlich bin ich keine Rowland und habe kein Blut an meinen Fingern. Er..." Erschrocken starrte sie Diana an. Erst jetzt wurde ihr bewußt, was sie gesagt hatte.
Die junge Frau streckte ihr die Hände entgegen. "Ich habe auch kein Blut an meinen Fingern, Daisy", bemerkte sie. "Vergessen Sie den Fluch. Die Mädchen sind vor über zweihundert Jahren verschwunden. Weder mein Großonkel noch ich hatten etwas d amit zutun. Ihnen würde es sicher auch keine Freude bereiten, wenn man Sie ständig für etwas Verantwortlich machen wollte, was einer Ihrer Vorfahren vor zweihundert Jahren getan hat."
Daisy senkte den Kopf. "Es tut mir leid, Mylady. Es war dumm von mir, so etwas zu sagen. Aber Bert..."
"Gehört Ihr Bert auch dieser Naturschutzgesellschaft an?"
Das junge Mädchen nickte. "Lord Rowland war ebenfalls Mi tglied. Seine Lordschaft und Reverend Lansing haben sich oft darüber unterhalten, wie wichtig es ist, die Natur zu schützen und daß viel zu wenig getan wird. Reverend Lansing plante, Rowland Castle in ein Zentrum zu verwandeln, in dem interessierte, junge Leute lernen würden, wie man der Natur helfen kann."
"Und ich habe seine Pläne zunichte gemacht."
"Ja." Daisy nickte. "Trotzdem sind wir natürlich alle froh, daß Sie in Ihre Heimat zurückgekehrt sind, Mylady", fügte sie rasch hin.
"Das freut mich", bemerkte die junge Frau, obwohl sie Daisy nicht ganz glaubte. Während das Mädchen in den Wirtschaftsrä umen verschwand, suchte sie die Bibliothek auf. Sie hielt es für wichtig, hier täglich ein paar Stunden zu verbringen, um alles zu lesen, was jemals über ihre Familie geschrieben worden war.
Wie Timothy Lansing ihr gesagt hatte, hatte sie in einem Schrank auch sämtliche Bücher gefunden, die sie während der letzten Jahre illustriert hatte. Ihr Onkel schien sie wie einen Schatz gehütet zu haben. Es verging kaum ein Tag, an dem Diana nicht bedauerte, daß es ihr nicht mehr vergönnt gewesen war, ihn wi ederzusehen.
Aber in der Bibliothek gab es natürlich nicht nur ihre Bücher. Als die neue Herrin von Rowland Castle diesen riesigen Raum zum ersten Mal betreten hatte, war es ihr vorgekommen, als würde sich vor ihr eine Schatzkammer öffnen. Sie wußte von Mr. March, daß ihr Onkel geplant hatte, eines Tages einen Bibliothekar einz ustellen, damit die Bücher endlich einmal geordnet wurden, aber stets war etwas Wichtigeres dazwischengekommen.
Diana schätzte, daß es an die zehntausend Bände waren, die in den Schränken und Regalen darauf warteten, katalogisiert zu we rden. Einige der Bücher stammten noch aus dem siebzehnten Jahrhundert und sie befürchtete, wenn sie einen der Folianten aufschlug, würde er unter ihren Händen zerfallen.
Auch an diesem Tag war die junge Frau von der Fülle der B ücher überwältigt. Bis jetzt war es ihr nur gelungen, einen kleinen Teil von ihnen durchzusehen. Sie hatte einige
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