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Geisterstunde

Geisterstunde

Titel: Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Cook
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meinen Verstand beinah überstrapazierten. Aber Garrett hat Willenskraft. Ich sah Jennifer an. Zu schade, daß Garrett nicht mehr Nicht-Willenskraft hat.
    »Schleicher Bradon war ein bemerkenswerter Künstler, aber anscheinend hat er niemandem jemals seine Bilder gezeigt. Eine verdammte Schande! Er konnte die Essenz des Gefühls einfangen, wie es war, im Cantard zu sein. Und er hat auch Menschen gemalt. Mit einem sehr schrägen Blick. Dies hier ist eines seiner Porträts. Ich habe es aus dem Feuer im Stall gerettet. Es könnte der Schlüssel zu allem sein. Ich möchte, daß Sie alle es sich ansehen und mir etwas darüber erzählen.«
    Morpheus trat mit einer Lampe näher heran, damit ich mehr Licht hatte. Dann stellte ich das Bild auf.
    Jennifer stieß einen Schrei aus und fiel in Ohnmacht. Und Kelle, die sich nicht hatte setzen wollen, schlug einen Augenblick später polternd am Boden auf.
    »Schlägt ein wie eine Bombe«, stellte ich fest. Ich meinte das Bild.
    Doc Doom starrte die blonde Frau an. Er hatte denselben Ausdruck wie Morpheus gestern abend. Dann riß er sich los. »Legt es bitte wieder hin.« Nachdem ich es getan hatte, redete er weiter. »Der Mann, der dieses Bild gemalt hat, hatte Einblick in eine andere Welt.«
    »Jetzt ist er ganz drüben. Er wurde vorgestern abend ermordet.«
    Doom machte eine abwehrende Handbewegung. Das tat nichts zur Sache.
    »Haben Sie gesehen, was im Hintergrund lauert?« fragte Morpheus.
    »Besser als jeder mit einem ungeübten Auge, nehme ich an. Das Bild erzählt eine Geschichte. Eine häßliche Geschichte.«
    »Ach ja? Und welche?« fragte ich.
    »Wer war die Frau?«
    »Das versuche ich herauszufinden, seit ich hier bin. Keiner außer mir hat sie jemals gesehen. Die anderen Leute behaupten, sie existiere gar nicht.«
    »Sie existiert. Ich bin überrascht, wie empfindlich Ihr … Nein. Ich sagte ja, daß sie häufig erscheinen müßte. Manchmal schließen sie sich einer objektiven Partei an und versuchen nach und nach, sich vor einem unparteiischen Gericht zu rechtfertigen.«
    »Wie bitte?«
    »Kapiere«, sagte Morpheus. »Ich hab mich geirrt, Garrett. Sie ist nicht die Mörderin. Sie ist unser Geist und brauchte daher natürlich auch keine Geheimgänge.«
    »Morpheus! Du weißt genau, daß es unmöglich ist. Ich hab dir doch erzählt …« Im letzten Moment bahnte sich ein Funke Vernunft den Weg durch meine Verwirrung. Wir waren hier nicht unter uns. War ich wirklich so dumm, allen zu verraten, daß ich mit einem Geist gevögelt hatte?
    War ich blöd genug, es selbst zu glauben?
    »Sie ist das Gespenst«, stimmte Doom zu. »Daran besteht kein Zweifel. Dieses Gemälde erklärt alles. Sie wurde ermordet. Und es war der Gipfel eines derartig ungeheuerlichen und widerlichen Verrates, daß sie hiergeblieben ist.«
    Jetzt war mir alles klar. »Stantnor hat sie getötet. Sie war seine erste Frau. Diejenige, von der er sich angeblich freigekauft und die er abgeschoben hat. In Wirklichkeit hat er sie ermordet. Vielleicht liegt hier ja tatsächlich eine Leiche im Keller, Morpheus.«
    »Nein.«
    »Wie?«
    Kelle rappelte sich vom Boden hoch. »Das ist Missus Eleanor, Garrett.«
    »Jennifers Mutter?«
    »Ja.« Kelle schleppte sich zum Tisch, hob das Bild hoch und starrte es an. Ich war sicher, daß sie alles wahrnahm, was Schleicher Bradon dort hineingepinselt hatte, vielleicht sogar Dinge, die Morpheus und ich übersehen hatten. »Er hat es also selbst getan. Er lebt all die Jahre mit dieser Lüge, weil er seine Ausrede nicht aufgeben kann. Es war gar kein ungeschickter Arzt. Dieser miese Schweinehund.«
    »Moment, kleinen Moment mal …«
    »Die Geschichte ist in dem Bild zu sehen, Garrett«, mischte Doom sich ein. »Sie wurde gequält und ermordet. Von einem Wahnsinnigen.«
    »Warum?« Meine Stimme klang selbst in meinen Ohren traurig. Ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Ich konnte die letzte Nacht nicht aus dem Kopf kriegen. Sie war kein Gespenst gewesen … Und wenn doch, dann war sie der heißblütigste, lebendigste und knackigste Geist, den es gab. »Doktor, ich muß mich unter vier Augen mit Ihnen unterhalten. Es ist wichtig.«
    Wir gingen hinaus in den Flur. Dort erzählte ich es ihm. Er verfiel wieder ins Grübeln. Als er wieder auftauchte, eine Woche später – jedenfalls kam es mir so vor – sagte er: »Langsam fügt sich alles zusammen. Und ihr Kind, Jennifer? Habt Ihr mit dem Mädchen auch geschlafen?«
    Was soll’s? Angeblich ist eine Beichte ja gut für die

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