Geisterstunde
vollgestopft, wie die meisten Räume darunter auch. Aber man hatte vom Treppenhaus einen Trampelpfad freigeräumt, der zum vierten Stock im Westflügel führte. Eine Abkürzung.
Die Alternative war, zum zweiten Stock hinabzusteigen und eine schmale Empore über der Hintertür zu nehmen. Offenbar war sie dazu da, um von hier aus zu einer versammelten Menschenmenge reden.
Ich konnte genausogut auch die Abkürzung nutzen, mich den Westflügel bis zum Erdgeschoß hinunterarbeiten und mich dann wieder nach oben wursteln.
Der Westflügel war bewohnt. Ich betrat keine Zimmer. Das verschob ich auf den nächsten Abend. Dann war ich in der Stadt gewesen. Vielleicht fand ich ja einen Schlosser, der nach meinem Schlüssel einen Dietrich anfertigen konnte.
Im dritten und vierten Stock war nichts zu finden. Aber der Grundriß sah anders als in meinem Flügel aus. Die Flure waren kürzer und endeten an den Türen der Suiten der Hausherren. Unter zwei Türen im dritten Stock war noch ein Lichtstreifen zu sehen. Entweder war jemand sehr lange aufgeblieben, oder er hatte Angst vor der Dunkelheit.
Im zweiten Stock lagen fünf große Suiten, vermutlich für Ehrengäste wie Herzöge, Grafen, Feuerlords, Sturmwächter oder wen sonst ein hochrangiger Offizier empfangen mochte.
Die protzigen Räume im Erdgeschoß dienten anderen Zwecken. Im Westflügel hatten früher die Herren die Geschäfte geführt und hofgehalten. Die Türen zu verschiedenen Räumen standen offen, was ich als Einladung betrachtete. Aber ich fand nichts Nennenswertes.
Vom Westflügel arbeitete ich mich zum Ostflügel vor, wo die Küche, die Speisekammer, der Speisesaal und alle möglichen anderen Räume lagen. Dort war ich schon gewesen, hatte mich aber nicht besonders gründlich umsehen können.
Als ich an meinem tapferen Helden vorbeikam, der immer noch starrköpfig mit dem Drachen rangelte, beschlich mich wieder dieses unheimliche Gefühl. Ich sah mich um, konnte aber niemanden entdecken. Meine blonde Bewunderin? Langsam kam ich zu der Überzeugung, daß sie nur ein Hirngespinst war.
Nicht im wörtlichen Sinn, natürlich. Dieses Haus war selbst um die Mittagszeit gespenstisch. Es war einer Horrorgeschichte entsprungen, aber ich glaubte nicht, daß es verwunschen war. Die Welt ist voll von Merkwürdigkeiten, Magie und übernatürlichen Dingen. Doch um zu erklären, was hier vorging, brauchte ich keine esoterische Krücke. Die Intrigen, die hier gesponnen wurden, entsprangen der Wurzel des Übels unter uns Lebenden.
Eine nähere Untersuchung des Eßzimmers ergab, daß es genau das war, was ich erwartet hatte. Und auch die Dekoration war ganz im Stil des Hauses gehalten. Ich fragte mich, in wie vielen Schlachten die Stantnors gefochten haben mochten.
Der Raum hatte eine hohe Decke. Ein Teil des zweiten Stocks mußte dafür geopfert worden sein. Das fand ich heraus, als ich die Speisekammer inspizierte.
Von dort führte eine Tür zu einem Treppenhaus, dessen Stufen sowohl nach unten als auch nach oben führten. Außerdem war es dort drinnen so finster wie im Herzen eines Vampirs. Ich ging hinauf. Der Weg führte zu Lagerräumen, die mit Wäsche und Haushaltszeug gefüllt waren. Einiges sah aus, als läge es schon seit der Jahrhundertwende hier. Irgendein verstorbener Stantnor hatte anscheinend gespart, indem er im Großhandel einkaufte.
Obwohl niemand Staub wischte oder fegte, war der Raum ganz ordentlich und wurde hauptsächlich von Motten bewohnt, die meine Lampe unwiderstehlich fanden.
Warum brauchte man soviel Platz als Lagerraum?
Schließlich kam ich an Stapeln mit zehn Zentimeter dicken, mit Eisen beschlagenen Eichenbrettern vorbei, auf deren Angeln mit Kreide Nummern standen. Die sah ich mir genauer an.
Es waren Schutzläden für die Fenster, um sie zu verrammeln, falls das Haus belagert werden sollte. Sie mußten so alt sein wie die ganze Hütte. Ob man sie je benutzt hatte? Wenn, dann nicht im letzten Jahrhundert.
In der südöstlichen Ecke fand ich einen seltsamen Raum. Die Tür war verriegelt, aber nicht abgesperrt. Es war eine Waffenkammer, in der genug Schlachtwerkzeuge waren, um eine ganze Kompanie auszustatten. Als wenn nicht schon genug Mordwerkzeuge im Haus herumgestanden und -gehangen hätten. Jeder Stahl war eingefettet, und alle Holzteile mit Paraffin bestrichen worden. Es warf ein interessantes Licht auf das politische Klima, das geherrscht hatte, als das Haus erbaut worden war. Schienen unsichere Zeiten gewesen zu sein.
Ich hatte
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