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Geisterstunde

Geisterstunde

Titel: Geisterstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Cook
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befördert worden –, daß es eine Schande war, den Jungen da unten zu verheizen. Und als er nach Hause kam, habe ich es ihm noch mal gesagt. Da hat mir der General geantwortet: ›Kelle‹, hat er gesagt, ›Kelle, du hast recht. Es war eine Sünde gegen die Menschlichkeit, ihn mitzunehmen.‹ Aber er hätte den Jungen auch nicht aufhalten können, selbst wenn er es gewollt hätte. Er war so verdammt eigensinnig und dachte, es wäre seine Pflicht, mit seinem Herrn in den Krieg zu ziehen.«
    Während sie erzählte, kam die Meute zum Frühstückfassen. Ich bemerkte zwei unbekannte Gesichter, wahrscheinlich Tyler und Wayne. Sie sahen aus, als hätten sie nicht geschlafen. Die Männer trugen ihre Teller ins Eßzimmer.
    »Waren das Tyler und Wayne?« erkundigte ich mich bei Kelle.
    »Wie habt Ihr das erraten?«
    »Pures Glück. Ist mir noch jemand entgangen?«
    »Wer denn?«
    »Weiß ich nicht. Gestern habt Ihr gesagt, hier würden achtzehn Leute leben. Ich habe nur zehn Leute gezählt, plus diesen Schleicher, der sich nie zeigt, und eine blonde Frau, die offenbar nur ich sehen kann. Das sind nach Adam Riese weit weniger als achtzehn.«
    »Hier wohnen keine achtzehn Leute.«
    »Ihr habt gesagt, es wären achtzehn.«
    »Junge, ich bin vierhundert Jahre alt. Wenn ich mich nicht konzentriere, erinnere ich mich nicht mal, in welcher Epoche ich im Augenblick lebe. Ich bin Köchin, deck den Tisch und wasch ab. Auf andere Dinge achte ich nicht. Ich treibe nur so dahin, sehe und höre nichts. Letztes Mal, als ich genauer hingesehen habe, waren wir achtzehn, mich eingeschlossen. Muß schon eine Weile hergewesen sein. Verdammt. Deshalb haben wir immer soviel Reste. Ich koche zuviel.«
    »Aber ich habe nicht zuviel Gedecke am Tisch gesehen.«
    Sie schwieg einen Moment. »Ihr habt recht. Anscheinend zählt etwas in mir mit.«
    »Seid Ihr schon lange bei den Stantnors?«
    »Ich bin mit meiner Mutter zu ihnen gekommen. War noch ein Kind. Ist schon lange her. Damals hatten Menschen noch einen Kaiser. Das war noch, bevor die Stantnors hierher gezogen sind und das erste Haus gebaut haben. Dieses hier ist erst zweihundert Jahre alt. War ein richtiges Prachtstück, als es neu war.«
    »Ihr müßt ja einiges erlebt haben.«
    »Kann man wohl sagen. Habe alle Könige und Sturmwächter und Feuerlords hier in diesem Speisesaal bedient.« Mit diesen Worten beendete sie das Gespräch und ging hinaus.
    Ich steckte meinen Kopf zur Tür herein. Niemand zeigte sich besonders enttäuscht. Allerdings klatschte auch keiner vor Freude in die Hände. Es war ein schlapper Haufen.
    Diese Kerls hatten ihr ganzes Leben miteinander verbracht. Man sollte annehmen, daß sie sich unterhalten könnten, es sei denn, es wäre alles gesagt. Bei einigen Menschen beschleicht mich genau dieses Gefühl, manchmal sogar, bevor irgend jemand überhaupt den Mund aufgemacht hat.
    Tyler und Wayne waren typische Marines-Berufssoldaten. Wie unterschiedlich die Männer auch sein mögen, der Dienst verleiht ihnen irgendwie eine gewisse Uniformität. Tyler war ein dünner, hagergesichtiger Typ mit harten, braunen Augen, graumeliertem Haar und einem schmalen, melierten Bart, der höchstens einen Zentimeter lang war. Wayne hatte etwa meine Größe und war ungefähr zwanzig Pfund schwerer. Aber das war kein Fett. Er sah aus, als könnte er mit Kühen um sich werfen, wenn ihn die Wut packte. Er war gut zehn Zentimeter größer als Tyler und blond, hatte eisblaue Augen, die dasselbe ausstrahlten wie die von Wayne oder der ebenfalls eisige Blick von Schocke. Allerdings ließ dessen Form allmählich zu wünschen übrig.
    Ich habe fünf Jahre in Gesellschaft von Männern wie ihnen verbracht. Jeder von ihnen war zu einem Mord fähig, wenn ihm danach gelüstete. Menschliches Leben bedeutete ihnen nichts. Dafür hatten sie zuviel Tod gesehen.
    Was ein weiteres Rätsel aufwarf.
    Marines sind ziemlich schlichte Naturen. Wenn jemand den Tod des Generals wollte, war es wahrscheinlich, daß er ihn einfach kaltmachte. Es sei denn, es gäbe ein wichtigeres Motiv, einen schleichenden Tod herbeizuführen.
    Zum Beispiel, auf einen Anteil am Vermögen des Alten zu warten?
    Es war sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Solche Dinge kann man nicht erzwingen. Sie müssen sich von allein entfalten.
    Ich half Kelle, den Tisch abzuräumen, und schnürte dann meine Wanderstiefel.
     
     
     

 
11. Kapitel
     
    Ich war schon seit Monaten nicht mehr bei Morpheus gewesen. Das lag nicht daran, daß wir

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