Geisterstunde
Anscheinend ohne die Tür zum Flur zu benutzen, wie der hartnäckige Klopfgeist bezeugte, der immer noch dagegen bollerte, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Meinen Zorn hatte er jedenfalls schon geweckt.
Ich schnappte mir meinen Nußknacker und ging zur Tür. Wer wagte es, mich zu einer derartig unchristlichen Stunde zu wecken – ganz gleich, wie spät es sein mochte?
»Dellwood. Wer war diesmal dran?«
»Sir? Ach so. Keiner, Sir. Sie wollten doch heute morgen mit dem General reden, Sir.«
»Ja. Entschuldigung. Ich habe zu fest geschlafen, deshalb ist es mir entfallen. Das Frühstück habe ich auch verpaßt, oder? Was soll’s. Ich wollte sowieso eine Diät einlegen. Geben Sie mir zehn Minuten, um mich ordentlich herzurichten.«
Er sah mich an, als würde ich das selbst in einem Jahr nicht schaffen. »Ja, Sir. Ich warte dort auf Sie, Sir.«
»Phantastisch.«
Ich werde alt. Ich brauchte mehr als zehn Minuten. Nach gut zwanzig Minuten schlurfte ich zu der Wohnung des Alten. Wo war die blonde Frau geblieben? Und Morpheus? Warum ging ich nicht einfach nach Hause? Diese Leute hier hatten doch einen Knall. Was auch immer ich tat, ich würde keine Lanze für Wahrheit und Gerechtigkeit brechen. Das beste wäre, einfach zu verschwinden und nach einem Jahr zurückzukehren. Um durchzuzählen, wer dann noch übrig war.
Meine Laune war berauschend.
Dellwood wartete im Flur vor der Tür des Generals und ließ mich herein. Das Zeremoniell lief ab wie immer. Dellwood ging hinaus, Kaid zockelte hinterher, nachdem er dafür gesorgt hat, daß das Feuer im Kamin so groß und heiß war wie der Weltenbrand, der unsere Tage irgendwann beenden würde. Ich schwitzte. »Setzen Sie sich«, forderte der General mich auf.
Ich gehorchte. »Hat Dellwood Sie auf den neuesten Stand gebracht, Sir?«
»Sie meinen die Ereignisse heute nacht? Ja. Haben Sie eine Ahnung, was da passiert ist? Oder warum?«
»Ja. Was mich selbst überrascht.« Ich berichtete ihm von Schleichers Türgeflüster und unserer Verabredung und beschrieb, wie ich ihn gefunden hatte. »Dellwood vermutet, daß die Würgeschnur aus diesem Raum stammen könnte.«
»Die Kef Sidhe? Möglich. Ich habe eine von meinem Großvater geerbt. Er ist um die Jahrhundertwende mit dem Kult aneinandergeraten, als er ein junger Leutnant war. Man hatte ihn beauftragt, die Verbrecherringe an der Küste zu bekämpfen. Damals war es ziemlich schlimm. Einer der nicht-menschlichen Verbrecherlords hatte einige Sidhe-Attentäter importiert. Die Schlinge müßte eigentlich noch bei den Peitschen und dem anderen Zeug hängen.«
Ich sah nach. »Sie ist nicht mehr da.« Kann nicht sagen, daß mich das vor Überraschung überwältigte. Ihn auch nicht. »Wer könnte sie genommen haben?«
»Alle. Jederzeit. Ich habe seit Jahren nicht mehr darauf geachtet.«
»Wer wußte, was es war?«
»Alle mußten meine wiederholten Sermone über die Abenteuer meines Großvaters ertragen. Und auch über die Heldentaten aller anderen Stantnors. Seit dem Tod meines Sohnes habe ich keine Zukunft mehr. Statt dessen lasse ich gern ab und zu den Ruhm der Vergangenheit auferstehen.«
»Verstehe, Sir. Er war ein guter Offizier.«
Seine Miene hellte sich auf. »Haben Sie unter ihm gedient?«
Vorsicht, Garrett. Sonst verbringst du deine Zeit damit, dem Alten die Ohren vollzuquatschen. »Nein, Sir. Aber ich kannte Männer, die unter ihm gekämpft haben. Sie hatten nur Gutes über ihn zu berichten. Das besagt eine Menge.« Vor allem wenn man bedachte, wie die Wehrpflichtigen normalerweise über ihre Vorgesetzten herziehen.
»Allerdings.« Das wußte er auch. Seine Gedanken schweiften ab in eine andere Zeit, als alle noch glücklicher gewesen waren. Jedenfalls kam es ihm so vor. Der Verstand beherrscht es hervorragend, Geschichte umzugestalten.
Unvermittelt kehrte der General in die Gegenwart zurück. Anscheinend bestand die Vergangenheit doch nicht nur aus roten Rosen. »Es war eine verheerende Nacht. Erzählen Sie mir von diesen Zombies.«
Ich wiederholte meine Theorie, daß Schleicher sie zum Leben erweckt hätte.
»Möglich«, meinte er. »Sehr gut möglich. Würde Vangoria Schwarz ähnlich sehen. Es entspräche dem verdrehten Humor der alten Hexe, einem naiven Marine Zauberwaffen in die Hand zu geben, die so etwas bewerkstelligen können.«
Mit dem Namen konnte ich nichts anfangen. Vermutlich war es nur eine weitere Zauberin, die einen albernen Künstlernamen angenommen hatte. Ihr richtiger Name lautete
Weitere Kostenlose Bücher