Geisterstunde
reinzulegen. Das ist dein Job. Einverstanden?«
»Du zahlst die Reisespesen.«
»Dann beeil dich.«
»Klar doch.« Angeblich war Eierkopf für Sarkasmus zu schlicht gestrickt, aber seine letzte Bemerkung stank geradezu danach.
Dellwood händigte ihm die zwanzig Taler aus, und Eierkopf schob ab. Ich trat an die Vordertür und sah ihm nach, wie er in einem Einspänner davonfuhr, den er sich vermutlich von Lou Latsch gemietet hatte, einem gemeinsamen Freund von uns. Seine Spesenabrechnung bereitete mir jetzt schon Bauchweh. Der alte Knacker hatte mir zwar einen großzügigen Vorschuß gegeben, aber so viele Ausgaben hatte ich nicht einkalkuliert.
Dellwood trat neben mich. »Darf ich fragen, worum es ging, Sir?«
»Fragen können Sie. Was nicht heißt, daß ich es Ihnen erzähle. Berufsgeheimnis. Werden Sie dem General verraten, daß ich einen Doktor einschmuggeln will?«
Er dachte kurz nach. »Nein, Sir. Ich finde es angemessen. Sein Zustand verschlechtert sich zusehends. Gestern war eine Ausnahme. Er tut zwar heute so, als könnte er Bäume ausreißen, aber die letzte Nacht hat sehr an ihm gezehrt. Wenn es einen Weg gibt … Lassen Sie mich wissen, ob ich Ihnen bei der List behilflich sein kann.«
»Mach ich. Ich habe eine Menge zu tun.« Und was, Garrett? So genau konnte ich das nicht sagen. »Ich sage es Ihnen, bevor Zarth zurückkommt.«
»Sehr gut, Sir.«
Wir trennten uns. Ich ging nach oben, weil ich wissen wollte, ob Morpheus noch in der Suite war. Er würde eine Rolle in dem Drama übernehmen müssen. Als ich den obersten Balkon erreichte, erblickte ich meine Freundin in Weiß. Ich winkte. Zu meiner Überraschung winkte sie zurück.
Morpheus war nicht da. Typisch für ihn. Wenn ich ihn brauchte, war er nicht da. Wie gedankenlos. Ich schnappte mir meinen Mantel und verließ mein Quartier wieder.
Blondie stand immer noch da. Sie achtete nicht auf mich. Ich beschloß, noch einmal einen Versuch zu wagen und mich an sie heranzuschleichen. Vorsichtig glitt ich auf die Empore und ging dann über den Flur hinunter.
Ha! Hab ich dich!
Aber … Was war das? Meine Vorstellungskraft war mit mir davongaloppiert. Das war nicht Blondie, sondern Jennifer. Sie trug Weiß, und nicht einmal dasselbe Weiß, wie die blonde Frau getragen hatte. Als ich mich ihr näherte, lächelte sie. Es war ein trauriges Lächeln. »Was sitzt Ihnen denn quer?« erkundigte ich mich.
»Das Leben.« Sie stützte ihre Ellbogen auf das Geländer. Ich stellte mich neben sie und ließ eine gute Armlänge Platz zwischen uns. Der Held unter uns hatte nur Augen für sein tödliches Gefecht mit dem Drachen. Schocke ging an dem Brunnen vorbei, ohne die beiden eines Blickes zu würdigen. Ich ahnte, wie der Ritter sich fühlte. Wir Helden mögen es, wenn man unsere Anstrengungen mit Applaus würdigt.
Ich gab einen dieser unbestimmten Brummlaute von mir, die dem Gesprächspartner signalisieren, daß man bereit ist, seine Sorgen anzuhören, wenn er sie loswerden will.
»Bin ich häßlich, Garrett?«
Ich blickte sie an. Nein. Wahrlich nicht. »Kann man nicht so sagen.« Ich hatte noch andere ebenso wunderschöne Frauen kennengelernt, die alle über ihr Aussehen weit mehr verunsichert waren als Frauen, die weit weniger als durchschnittlich aussahen. »Der Mann, der das nicht sieht, muß tot sein.«
»Danke.« Sie zeigte die Spur eines Lächelns und wirkte etwas weniger abweisend. Sie rückte fünf Zentimeter näher. »Das tut gut.« Eine halbe Minute Pause. »Aber es sieht keiner. Sie merken nicht mal, daß ich eine Frau bin.«
Wie soll man einer Lady erklären, daß es nicht an ihrem Aussehen liegt, sondern an ihrem Wesen? Daß sie trotz ihres großartigen Äußeren wie eine Schwarze Witwe wirkt?
So was tut man nicht. Man schwindelt ein bißchen, um diese Brutalität und den daraus folgenden Haß zu vermeiden.
Selbst in ihrer unmittelbaren Nähe und trotz der Tatsache, daß sie sich eindeutig danach sehnte, begehrt zu werden, empfand ich nichts.
Allmählich begann ich mir Sorgen zu machen.
»Sie bemerken mich nicht.«
»Oh, das stimmt nicht. Ich … nehme Sie durchaus wahr.« Nur jemand mit sehr verzerrten Maßstäben, zum Beispiel ein Rattenmann, würde ihr ins Gesicht sagen, sie habe den bösen Blick. »Aber ich bin schon vergeben.« Das ist ein erprobter Notausgang.
»Ach so.« Wieder strahlte sie diesen unendlichen Kummer aus. Genau das war es: Kummer. Kummer, der bis in ihre dunklen Augen reichte. Augen, die so tiefgründig zu sein
Weitere Kostenlose Bücher