Geisterstunde
gestrichen worden, das hatte ich gehört. Aber wenn jemand noch das Recht auf einen Anteil hatte, selbst wenn er nicht mehr hier war, und wenn alle dachten, er wäre verschwunden oder schon tot, hätte er eine wundervolle Gelegenheit für schmutzige Spielchen und könnte dann frischgewaschen zur Testamentsverlesung auftauchen.
»Derjenige, der Hawkes erledigt hat, ist zum Haus geritten.«
»Du hast die Spur verloren.«
Das stimmte. »Wenn es jemand war, der nicht zum Haus gehört, kann er nicht wissen, daß der General das Testament verbrannt hat.«
»Genau. Deshalb macht er vielleicht weiter.«
Auch das war richtig. »Jemand hat versucht, mich mit der Axt zu erledigen.«
»Das könnte mit deinen anderen Problemen zusammenhängen.«
»Morpheus, ich werde noch verrückt, wenn ich versuchen soll, das alles auseinander zu pfriemeln. Es ist mir egal.«
Er warf mir einen fast schon verächtlichen Blick zu. »Sehr klug. Du bist auch so schon dämlich genug.«
»Im Moment mache ich folgendes: Ich trample herum und sorge dafür, daß was passiert. Wenn bösen Buben die Nerven flattern, verraten sie sich meistens.«
Morpheus gackerte förmlich. »Du hast wirklich Stil, Garrett. Wie ein Wasserbüffel. Was nützt dir das ganze Getrampel, wenn Tyler dein Mörder war?«
»Nicht viel«, gab ich zu.
»Und die Köchin? Wenn sie wirklich seit vierhundert Jahren hier rumhängt, dann denkt sie vielleicht, daß die Familie ihr einen fetteren Batzen schuldet, als der General ihr zugestehen wollte.«
Ich betrachtete das unter dem Aspekt, daß nichtmenschliche Rassen nicht menschlich denken und daß Trolle ziemlich direkt sind. Stellt man sich einem Troll in den Weg, macht der einen platt.
»Kelle hat ein Alibi für die Zeit, in der Hawkes umgebracht wurde. Außerdem, hätte ein Gaul ihr Gewicht ausgehalten, ohne durchzubrechen, müßte sie dreißig Zentimeter tiefe Spuren hinterlassen haben.«
»War ja nur eine Idee. Könnte sie den Alten vergiften?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Sie hätte die Mittel und die Gelegenheit dazu, aber mir fällt kein Motiv ein. Sie hat ihn von Geburt an großgezogen. Irgendwie wird sie ihn wohl lieben.«
Morpheus schnaubte gereizt. »Du hast recht. So kommen wir der Sache nicht auf die Spur. Schlaf drüber. Ich gehe geistern.«
»Aber nicht in meinem Schlafzimmer«, warnte ich ihn. »Ich bau eine Falle mit einer Axt auf, die heimliche Besucher zerlegt.« Ich hatte mich entschieden, wieder im Federbett zu schlafen. Der Boden in meinem Wandschrank war zu hart. Vielleicht würde ich ja später umziehen, wie ich es mir vorgenommen hatte.
Morpheus nickte. Dann bleckte er die Zähne zu einem Grinsen. »Schade, daß diesmal nicht dein übliches Kontingent an Bräuten dabei ist. Würde die Sache viel interessanter machen.«
Da mochte ich nicht offen widersprechen.
22. Kapitel
Ich hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein, als jemand gegen die Tür hämmerte. Obwohl das Licht, das durch das Fenster hereinschien, mich eines Besseren belehrte. Ich verfluchte den Störenfried und rollte mich auf die andere Seite. Ich laufe nicht gerade zu Hochform auf, wenn man mich ständig weckt.
Während ich mich umdrehte, öffnete ich die Augen einen Spalt. Was ich sah, drang nicht bis zu meinem Großhirn durch. Einfach deshalb, weil es unmöglich war. Ich kuschelte mich in die Kuhle wie ein alter Köter, der Trost sucht.
Und fuhr hoch, als hätte mir einer eine Nadel in den Hintern gejagt.
Blondie lächelte fast unmerklich, während sie durch meine Schlafzimmertür schwebte. Ich schrie nicht mal, sondern glotzte ihr nur nach.
Sie hatte auf dem Bettrand gesessen und mich betrachtet. Wie war sie hereingekommen, ohne in kleine mundgerechte Happen zerlegt zu werden? Ich überprüfte die Falle. Sie war unberührt und bereit, Blut über das ganze Land zu verspritzen, falls der Mörder mitspielte und blindlings reinlatschte. Sie hockte da und wartete auf Beute, ganz wie ihr Boß es geplant hatte.
Aber die Tür stand sperrangelweit auf.
Es hatte nicht funktioniert.
Mich überlief es kalt. Angenommen, es wäre nicht meine entzückende Bewunderin gewesen? Sondern jemand mit einem ganz besonderen Geschenk für mich? Ich stellte mir vor, daß ich auf meinem Bett lag wie ein Käfer im botanischen Institut – aufgespießt mit einer Nadel im Bauch.
Bis ich mir alle Horrorszenarien ausgemalt und aus dem Schlafzimmer gehumpelt war, hatte sich die Frau in Weiß bereits verflüchtigt.
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