Geisterstunde
er gestern abend gesagt, er hätte sie gesehen? Oder war das der andere Morpheus gewesen?
Das hatte ich vergessen. Das Ding, das sich in jemand anderen verwandeln konnte. Vermutlich war wirklich ein Gespenst hier, so wie der Doktor angenommen hatte.
Es wurde nicht einfacher.
»Dein Bild«, flüsterte Morpheus.
Ich runzelte die Stirn.
»Schnapp es dir und finde raus, wer sie ist. Am besten durch eine direkte Gegenüberstellung.«
Vielleicht hatte er recht. Eventuell. Am liebsten hätte ich gesagt: Zum Teufel damit. Wir waren erst mal in Sicherheit. Der Zombie war entsorgt, und der Mörder würde wahrscheinlich zunächst einmal keinen weiteren Zug machen. Mir tat alles weh. Ich wollte mich nur noch in meinem Zimmer verkriechen und beenden, was ich angefangen hatte, bevor man mich unterbrochen hatte.
Aber ich hatte einmal ein Treffen mit Bradon aufgeschoben, und was hatte ich davon gehabt? Es hatte nicht nur Schleichers Leben gekostet, sondern auch noch das von Schocke. Ganz zu schweigen von der Scheune, all den anderen Gemälden und den Pferden, die ganz allein in den Sonnenuntergang geritten waren, weil sie keiner zusammengetrieben hatte.
Ich rappelte mich hoch. »Peters, haben Sie zufällig Regenzeug parat?«
Morpheus stand ebenfalls auf. Er schlurfte zu mir und hielt sich mit dem linken Arm die Seite.
»Regenzeug? Was wollen Sie denn jetzt draußen?«
»Ich muß was holen, solange es noch da ist.«
Er sah mich an, als wäre ich verrückt.
Damit liegst du wohl ganz richtig, alter Junge, dachte ich. »Durch diesen Bogen da links am Ende des Flurs. In den alten Waschräumen.« Er redete immer noch stockend. Morpheus und ich gingen zu dem Bogen, der knapp einsfünfzig breit war. Das entsprach in diesem Haus einem kleinen Riß in der Mauer. Dahinter lag eine Nische, die etwa zweifünfzig mal zweifünfzig maß. Vor mir befand sich eine Tür und links neben mir eine weitere. »Nimm die«, bat ich Morpheus und öffnete die Tür direkt vor meiner Nase.
Ich hatte die Damentoilette erwischt. Es war das erste Klo, das ich in diesem Haus bisher gesehen hatte. Im Keller waren keine Fallrohre gewesen. Vielleicht gab es ja keine mehr. Der Raum war jedenfalls trockengelegt und wurde offenbar nur noch als Lager benutzt.
Regenmäntel konnte ich allerdings nicht finden.
Ich ging nach nebenan zu Morpheus. Der war natürlich im Männerklo gelandet. Eine Wand war aus Marmor und hatte am unteren Ende eine Rinne. Das Rohr, aus dem einmal Wasser geflossen sein mochte, war verrostet. Ich entdeckte das Regenzeug, aber von Morpheus war nichts zu sehen. »Wo steckst du?«
»Hier.« Seine Stimme erklang gedämpft hinter einem Dickicht aus Besen und Schrubbern und allen möglichen anderen Reinigungsgeräten in der hintersten Ecke. Offenbar hatte er einen weiteren Geheimgang entdeckt und war bereits halb die Leiter dahinter hinaufgestiegen.
»Das können wir später noch überprüfen«, sagte ich und entdeckte eine Öllampe zwischen dem ganzen Müll. Sie roch, als hätte man sie in diesem Jahrhundert schon einmal benutzt. Als Morpheus auftauchte, hatte ich es gerade geschafft, sie zu entzünden.
»Wenn hier keine Leute hausen würden, könnte man glauben, das Haus steht schon seit zwanzig Jahren leer.«
»Ja.« Ich zog eine Öljacke an, die mir um einige Nummern zu groß war. Während Morpheus eine suchte, die nicht wie ein Zirkuszelt an ihm aussah, schnappte ich mir noch ein paar Jacken, um Bradons Kunstwerke einzuwickeln. Dann setzten wir uns Hüte auf und marschierten in den Sturm hinaus.
Das hieß, eigentlich stolperten wir eher, als daß wir marschierten. Ich wurde nicht beweglicher, genauso wenig wie Morpheus. Die meiste Energie verwendete ich darauf, zu verhindern, daß der Sturm die Lampe ausblies.
Der starke Wind peitschte den strömenden Regen über den Boden. Er schien von überall her zu kommen, nur nicht von oben. Dabei donnerte es ständig, und die Blitze über der Stadt sahen aus wie Zeugen einer Schlacht zwischen Feuerlords und Sturmwächtern. Trotz allem erreichten wir den Viehstall.
»Ein Glück, daß wir das Regenzeug gefunden haben«, meinte Morpheus. »Sonst wären wir jetzt klatschnaß.«
Sarkastischer Mistkerl. Ich war naß bis auf die Knochen und durchstöberte den Ort, wo ich die Gemälde versteckt hatte. »Kaum zu glauben! Anscheinend hat es geklappt.«
»Was?«
»Sie sind noch da.«
»Dann achte auf eine Falle.«
Fast hätte ich ihn ernst genommen. Das wäre typisch gewesen.
Ich schüttelte
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