Geistersturm
ist.«
»Man kann nie wissen. Kommen Sie, wir steigen ein. Ich habe den Eindruck, daß es brennt.« Nicht nur Melvin Hunt lief auf den Geländewagen zu, auch Corky folgte ihm, und sein Knurren hatte er nicht eingestellt. Er sprang hinein und blieb auf dem Rücksitz hocken.
Suko wartete, bis der Schriftsteller hinter dem Steuer seinen Platz eingenommen hatte, öffnete die Tür, hielt sie noch fest und stieg nicht ein, denn er hatte etwas gesehen.
Licht bewegte sich durch die düstere Landschaft. Eine tanzende Kette heller Lichter.
Melvin Hunt beugte sich nach links hinüber zur Beifahrerseite. »Suko, das sind sie! – Die Gruppe ist auf dem Weg zum Ziel. Die wird Culloden früher erreichen als wir.«
Der Inspektor stieg ein. Er schloß die Tür. Hinter ihm knurrte Corky noch immer. Hunt hatte seine Waffe, ein Militärgewehr, quer über seine Oberschenkel gelegt. Die Mündung wies zur Tür hin. »Es wird nicht friedlich abgehen, habe ich das Gefühl«, sagte er, während er startete.
Suko schwieg, aber er dachte genauso.
***
Der Blutgeruch war nicht verschwunden. Wie ein Nebel hüllte er mich ein, jetzt aber auch Geraldine Sinclair, die noch immer so aussah, wie ich sie kannte.
Wir schauten uns an. Auf ihrem runden Gesicht zeigte sich kein Lächeln, und ich wollte auch nicht in Schweigen erstarren, deshalb sagte ich: »Ich kann mir denken, weshalb du gekommen bist, aber ich möchte gern von dir die Wahrheit hören.«
»Das kannst du, John.«
»Bitte.«
»Ich will nicht, daß die Menschen es schaffen, sich mit den Geistern zu verbünden. Ich will, daß es endlich Frieden gibt und all die Toten vergessen werden.«
»Frieden? Hört sich sehr gut an. Dann sind wir hier erschienen, um Frieden zu stiften?«
»Wir beide – ja. Ich muß es wieder versuchen. Ich habe es vor der Schlacht versucht und bin deshalb als Verräterin gebrandmarkt worden. Man hat mich nicht verstanden. Ich wollte den schottischen Clans zeigen, daß sie gegen die englische Übermacht nicht ankommen können, aber sie waren stur und haben sich nicht ergeben. Sie fingen an zu kämpfen, sie verloren ihr Blut und ihr Leben, und ihre Seelen irren im Jenseits umher, wo sie keine Ruhe finden und immer als Geistersturm über das Land und Culloden hinwegfegen.«
»Das habe ich begriffen, Geraldine. Aber was ist mit den Menschen, die in meiner Zeit hier erscheinen werden?«
»Sie wollen sich mit ihnen verbünden. Ich bin so etwas wie eine Brücke, denn durch mein Erscheinen auf dem Schlachtfeld löse ich den Geistersturm aus. Dann verlassen sie ihre Totenwelt. Für sie bin ich eine Verräterin. Es ist immer wieder im Laufe der langen Jahre geschehen. Es haben sich Legenden um Culloden gebildet, aber niemand hat diese Sagen mit mir in einen Zusammenhang gebracht. Außerdem bin ich in Vergessenheit geraten. Aber ich existiere noch und ziehe den Haß der Geister auf mich.«
Den Geruch des alten Blutes hatte ich vergessen. Mich interessierte einzig und allein die Geschichte der Geraldine. »Warum existierst du noch?« fragte ich sie. »Du hättest längst tot und zu Staub zerfallen sein müssen.«
»Ja, das stimmt«, gab sie leise zu.
»Deshalb frage ich mich und auch dich, aus welchem Grund du noch lebst, Geraldine.«
Sie lächelte dezent. »Kannst du dir das nicht denken, John?«
»Nein.«
»Ich bin eine Sinclair.«
»Ich ebenfalls.«
»Das ist ja unser Fluch oder unser Auftrag. Die Sinclairs waren immer etwas Besonderes, das brauche ich dir nicht zu sagen. Denk an Henry St. Clair, den Seefahrer, denke an mich, denke an – ach, es gibt so viele mit diesem Namen, die sich hervorgetan haben, und du bist einer in der langen Kette, der sogar der Sohn des Lichts genannt wird, wie ich hörte.«
»Da widerspreche ich dir nicht, Geraldine. Nur habe ich nie etwas mit dem Clan der Sinclairs zu tun gehabt. Wenn du soviel über mich kennst, wirst du auch wissen, daß ich in früheren Zeiten schon als eine andere Person gelebt habe. Als Hector de Valois oder als Richard Löwenherz und…«
»Es ist mir bekannt, mein Freund.«
»Gut. Ich bin also zufällig in die Sinclairs hineingeboren worden, kann man sagen.«
»Bestimmung.«
»Tatsächlich? Für wen?«
»Für mich, unter anderem. Dafür, daß du mir im Kampf gegen den Geistersturm zur Seite stehst. Er wird heute über uns kommen, und wir werden es sehr schwer haben, ihn zu stoppen, denn die Lebenden wollen sich mit den Geistern der Toten verbünden. Die Nacht des Unheils wird bald anbrechen.
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