Geistersturm
Die Geister sind unruhig geworden. Das Blut der Toten brodelt, wie du es selbst erlebt hast. Es kocht unter deinen Füßen. Es spürte bereits die Veränderungen, und es will nicht mehr tief im Schoß der Erde zurückbleiben. Das Blut muß sich freie Bahn verschaffen, denn die Geister der Gefallenen werden in diese Wolke hineinschweben, und es wird zu einer mächtigen Verbindung kommen.«
»Wenn wir sie zulassen…«
»Ja.«
Ich schwieg, und auch Geraldine ließ mich in Ruhe. Mein Blick durchstreifte die Umgebung. Es hatte sich nichts verändert. Zumindest konnte ich bei diesen Sichtverhältnissen nichts erkennen. Alles war ruhig, wirkte wie erstarrt.
Auch der Himmel lag über uns wie immer. Dort zeigte sich keine Gefahr.
Wenn die Geister kommen wollten, so hielten sie sich noch in ihren Reichen versteckt.
Eine Frage brannte mir trotzdem auf der Zunge, und ich hielt sie auch nicht länger zurück. »Was ist mit dir persönlich, Geraldine? Warum hast du überlebt? Warum kannst du vor mir stehen?«
Auf ihrem Gesicht, das ebenfalls von Schatten bedeckt war, erschien ein Lächeln. »Ich wußte, daß du so fragen würdest, John, und ich kann dir auch eine Antwort geben. Ich lebe noch, ich habe es geschafft, den Tod zu überwinden. Ich werde dir jetzt sagen, daß ich eine Sinclair bin, und wie du weißt, hat es bei uns besondere Menschen gegeben. Bevor man mich köpfen konnte, wurde ich von den Engländern befreit, die durch das Land ritten, um auch die letzten Aufständischen zu vernichten. Man wußte, daß ich versucht habe, damals Frieden zu stiften, und so ließen sie mich laufen. Ich versteckte mich, ich lernte viel über gewisse Kräfte, die auch schon damals vorhanden waren. Heute und auch früher hätte man mich als eine Hexe angesehen, und sicherlich war ich das auch. Aber darauf bin ich stolz, denn durch die Verbindung zu den anderen Kräften, die nicht sichtbar sind, habe ich zu überleben gelernt.«
»Warst du ein Günstling der Hölle?«
»Nein, John, nein!« Ihre Antwort hatte ehrlich geklungen, und ich glaubte ihr. »Muß jede Person, die über ungewöhnliche Kräfte verfügt, mit dem Teufel in Verbindung stehen?«
»Ich weiß es nicht genau. Es wäre aber möglich. Auch ich habe meine Erfahrungen sammeln können.«
»Auf mich treffen sie nicht zu. Ich habe durch eine sehr weise Frau, die sich in einem zerstörten Kloster versteckt hielt, einen Weg zu anderen Reichen gefunden. Sie war der Schlüssel zu einem Tor, hinter dem eine andere Welt lag.«
»Welche?«
»Sie ist wunderschön. Sie ist die Welt für alle aufrechten Kämpfer. In ihnen leben die Geister weiter.«
Ich hatte eine Idee und sprach sie auch aus. »Ich kenne ein Reich, in dem das alles so geschieht. Ist es Avalon?«
»Ja«, hauchte sie. »Avalon. Die Insel der Glückseligkeit, das Eiland der Äpfel. Dort, wo der mächtige König Arthurs und seine Ritter der Tafelrunde auf das Ende der Welt warten und eine geheime Wacht über England halten. Dort komme ich her. Immer wieder einmal verlasse ich die Insel, um mich auf dieses Schlachtfeld zu begeben, denn irgendwo bin auch ich dazu verflucht, lange zu leben, um endlich Frieden zwischen den Parteien stiften zu können. Es ist mir bisher nicht gelungen, aber ich hörte von dir, denn dein Name ist in Avalon ebenfalls bekannt.«
»Durch eine Frau?«
»Ja.«
»Nadine Berger?«
»Ja.«
»Dann ist mir einiges klar.«
»Sie wartet auf deinen Besuch, aber andere wollen nicht, daß du kommst, obwohl du es schaffen könntest, denn der Knochensessel befindet sich in deinem Besitz.«
Das stimmte zwar nicht ganz, aber ich wollte es auch nicht richtigstellen, nicht jetzt. Mir selbst gegenüber war ich ehrlich. Ich hatte Geraldine bei einer Lüge ertappt. Was sie über Avalon gesagt hatte, stimmte, das kannte ich aus eigenen Erlebnissen, aber das war jetzt nicht wichtig. Der Geistersturm zählte, und ich wollte von der Kämpferin wissen, wann er losbrechen würde.
Geraldine hob die Schultern. »Ich kann es dir nicht genau sagen. Er wird sich nicht zurückhalten lassen.«
»Um Mitternacht?«
»In der Nacht.«
»Gut, akzeptiert. Bleiben wir bei diesem Sturm. Du kennst dich besser aus, Geraldine. Was werden wir tun müssen, um ihn zu stoppen? Können wir ihn überhaupt stoppen?«
»Es wird schwer werden.«
»Das denke ich auch. Nur ist damit meine Frage nicht beantwortet worden.«
»Wir haben zwei Reihen von Gegnern, die lebenden und die toten. Die Toten oder die Geister werden versuchen,
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