Gejagt
mehr als atemberaubend. Genau wie sein Gesicht – so strahlend, so perfekt, einfach unmöglich zu beschreiben.
Plötzlich erkannte ich zutiefst geschockt, wie nahe das dem kam, wie Nyx Aphrodite und mir erschienen war! Sie hatte eine so überweltliche Schönheit ausgestrahlt, dass wir unfähig gewesen waren, Worte dafür zu finden. Aus irgendeinem Grund machte mich diese Ähnlichkeit zwischen Kalona und Nyx unendlich traurig – traurig darüber, was er einst vielleicht gewesen sein mochte und was aus ihm geworden war.
»Was ist, A-ya? Woher dieser Blick, als wolltest du weinen?«
Ich wollte schon anfangen, es ausweichend in vorsichtigen Worten zu umschreiben, aber dann überlegte ich es mir anders. Wenn das hier mein Traum war – wenn ich Kalona tatsächlich irgendwie aus eigenem Antrieb zu mir gerufen hatte –, dann wollte ich ehrlich mit ihm sein. Also sagte ich die Wahrheit.
»Ich bin traurig, weil ich glaube, dass du nicht immer so warst wie jetzt.«
Kalona saß vollkommen reglos. Es war, als sei die flüssige Bronze seines perfekten Körpers erstarrt, als habe er sich in die Statue eines Gottes verwandelt. Und in der Zeitlosigkeit des Traums hätte ich nicht sagen können, ob eine Sekunde oder ein Jahrhundert verging, ehe er sagte: »Und was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass ich nicht immer so war wie jetzt, meine A-ya? Würdest du mich retten oder mich wieder einkerkern?«
Ich blickte ihm in die leuchtenden Bernsteinaugen und versuchte, so tief wie möglich zu blicken, bis in seine Seele. »Ich weiß es nicht«, antwortete ich ehrlich. »Ich glaube, ich könnte weder das eine noch das andere, ohne dass du mir ein bisschen dabei hilfst.«
Da lachte er. Der Klang tanzte über meine Haut und weckte in mir die Versuchung, den Kopf zurückzuwerfen, die Arme auszubreiten und die Schönheit dieses Klanges mit allen Sinnen zu genießen. »Da hast du wohl recht«, sagte er und sah mir lächelnd tief in die Augen.
Ich war es, die schließlich den Blick abwandte, ihn aufs Meer richtete und zu vergessen versuchte, wie unwahrscheinlich verführerisch er war.
»Ich mag diesen Ort.« Ich hörte seiner Stimme das Lächeln noch an. »Ich kann seine Macht spüren, diese uralte Macht. Kein Wunder, dass sie ihn sich angeeignet haben. Er erinnert mich an jenen Ort der Macht im House of Night, von dem ich mich befreite. Nur ist hier das Erdelement viel schwächer. Ich schätze das. Es ist sehr angenehm.«
Ich pickte mir das aus seinen Worten heraus, was ich wirklich verstand. »Kein Wunder, dass du dich auf einer Insel wohler fühlst, wo du ja die Erde nicht besonders magst.«
»Es gibt nur eines, was ich an der Erde mag, und das war das Gefühl, in deinen Armen zu ruhen. Auch wenn unsere Umarmung so lange dauerte, dass selbst meine Begierde zur Genüge gestillt wurde.«
Ich sah ihn wieder an. Er lächelte noch immer zärtlich. »Aber du musst doch wissen, dass ich nicht A-ya bin.«
Sein Lächeln schwand nicht. »Nein, das weiß ich nicht.« Langsam streckte er die Hand aus, nahm eine Strähne meines langen dunklen Haares zwischen die Finger und ließ sie durch seine Hand gleiten, während er mir weiter in die Augen sah.
»Ich kann sie gar nicht sein«, sagte ich ein bisschen unsicher. »Ich war nicht in der Erde, als du freigekommen bist. Ich lebe schon siebzehn Jahre lang
auf
der Erde.«
Er liebkoste weiter mein Haar. »A-ya war schon seit Jahrhunderten fort. Sie ist wieder mit der Erde verschmolzen, von der sie genommen war. Du bist nichts anderes als sie, wiedergeboren durch eine Menschenfrau. Darum bist du anders als die anderen.«
»Das kann nicht sein. Ich bin nicht sie. Du warst mir total fremd, als du auferstanden bist«, widersprach ich.
»Bist du dir sicher, dass ich dir fremd war?« Ich spürte die Kälte, die von ihm ausging, und hätte mich am liebsten an ihn geschmiegt. Mein Herz schlug wieder wie rasend, aber diesmal nicht vor Angst. Ich wollte diesem gefallenen Engel nahe sein, mehr als ich je zuvor in meinem Leben etwas gewollt hatte. Das Verlangen, das ich empfand, war größer als selbst der Lockruf, den Heath’ Blut und unsere Prägung auf mich ausübten.
Wie Kalonas Blut wohl schmecken würde?
Ich erzitterte bei dem köstlichen, verbotenen Gedanken.
»Auch du kannst es spüren«, sagte er leise. »Du wurdest für mich gemacht. Du gehörst zu mir.«
Seine Worte ließen den Nebel meines Verlangens zerstieben. Ich stand auf und trat hinter die Bank, damit die Marmorlehne eine
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