Gejagt
Kontrolle?«
»Sieht so aus. Zumindest hat sich noch keiner gegen ihn oder Neferet gewehrt.«
Ich hatte eigentlich erwartet, dass Stark irgendwann anfangen würde, meine Fragen abzublocken, aber anscheinend war es ihm egal – er redete, als wäre es gar kein Problem, wenn ich all diese Sachen erfuhr. Also beschloss ich, zu testen, wie viel ich herausfinden konnte.
»Was ist mit den Söhnen des Erebos? Ich hab einen Einzigen gesehen, als wir angekommen sind, aber seither nicht mal mehr ihn.«
»Von denen sind nicht mehr viele übrig.«
»Was soll das heißen?«
»Dass ein Haufen von ihnen tot ist. Als Shekinah fiel, ist Ate ausgetickt und hat einen Angriff gegen Kalona gestartet. Wobei ich nicht glaube, dass Kalona derjenige war, der Shekinah getötet hat.«
»War er auch nicht. Es war Neferet.«
»Hu. Okay, das passt. Neferet ist ein rachsüchtiges Biest.«
»Ich dachte, du wärst ihr treu ergeben.«
»Nein.«
»Wirklich nicht?«
»Ganz sicher.«
»Weiß sie das?«
»Nein«, sagte er. »An etwas von dem, was du mir gesagt hast, bevor ich starb, kann ich mich noch erinnern. Du hast versucht, mich vor Neferet zu warnen.«
»Ja. Daran erinnere ich mich auch.«
»Na ja, was du gesagt hast, ist richtig.«
»Sie verändert sich, oder? Ich meine, sie ist nicht mehr einfach nur eine Vampyr-Hohepriesterin.«
»Irgendwas stimmt mit ihr überhaupt nicht. Sie hat ganz dubiose Kräfte. Ich sag dir, sie kann Leute besser ausspionieren als Kalona.« Er blickte zur Seite, und als er mir wieder in die Augen sah, waren die seinen von einer Traurigkeit überschattet, die aus tiefster Seele kam. »Ich wollte, du wärst dort gewesen statt Neferet.«
»Dort gewesen?«, fragte ich, obwohl ich daran, wie sich mein Magen verkrampfte, merkte, dass ich genau wusste, was er meinte.
»Du hattest meinen Körper beobachten lassen, nicht wahr? Mit diesem Kamerading.«
»Ja«, sagte ich leise. »Jack hatte sie dort versteckt. Ich wollte dich nicht aus den Augen lassen, und das war die beste Methode, die mir einfiel. Aber dann hatte meine Grandma einen Unfall, und die Ereignisse haben sich überschlagen … Tut mir leid.«
»Mir auch. Es wäre anders gelaufen, wenn ich dich als Erste gesehen hätte, als ich die Augen aufschlug, und nicht sie.«
Ich hätte ihn gern gefragt, wie genau dieses Sterben und Entsterben eigentlich abgelaufen war und was er mir noch alles über Neferet sagen konnte, aber sein Gesicht war jetzt unnahbar und seine Augen voller Schmerz.
»Hör mal«, sagte er plötzlich abrupt, »du brauchst dringend Schlaf. Und ich bin auch müde. Was hältst du davon, wenn wir gemeinsam hier schlafen? Einfach
schlafen
, sonst nichts. Ich versprech dir, ich hab keine zweideutigen Absichten.«
»Nein danke.«
»Willst du lieber, dass Kalona wieder in deinen Träumen auftaucht?«
»Nein, aber ich denk, es wär keine gute Idee, wenn du, äh, bei mir schlafen würdest.«
Er bekam wieder diesen harten, kalten Gesichtsausdruck, aber in seinen Augen lag weiter dieser Schmerz. »Weil du mir nicht zutraust, dass ich mein Versprechen halte.«
»Nein. Weil ich nicht will, dass jemand weiß, dass du hier bist«, gab ich ehrlich zurück.
»Ich werd verschwinden, bevor es irgendjemand merkt«, sagte er ruhig.
Da erkannte ich plötzlich, dass meine Reaktion vielleicht der ultimative Faktor sein würde, der den Kampf um seine Menschlichkeit entschied. Durch meine Gedanken flogen die letzten beiden Zeilen von Kramishas Gedicht:
Menschlichkeit ist ihr Heil / Wird sie mir Heil(ung) sein?
Und ich wusste, was ich zu tun hatte.
»Okay, von mir aus. Aber du musst hier wirklich verschwinden, bevor dich jemand sieht.«
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Dann verzogen sich seine Lippen zu dem frechen Bad-Boy-Grinsen. »Ist das dein Ernst?«
»Leider ja. Und jetzt komm her, ich schlaf schon jetzt halb ein.«
»Klar. Hab schon verstanden. Ich bin ein Monster, kein Idiot.« Im Nu war er wieder an meinem Bett.
Ich rutschte zur Seite und schob dabei Nala weg, was sie ziemlich verärgerte. Mit einem Maunzen tappte sie ans Fußende, drehte sich dreimal im Kreis, und ich schwör’s, sie war wieder eingeschlafen, noch bevor sie den Kopf ganz auf ihre Pfoten gebettet hatte.
Ich sah Stark an und legte hastig den Arm über seine Seite des Bettes, bevor er sich darauf niederlassen konnte.
»Was denn?«, fragte er.
»Zuerst nimmst du diese Bogen-und-Köcher-Geschichte ab, die praktisch auf deinem Rücken festgewachsen ist.«
»Oh.
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