Gejagt
kann.«
Daran, wie sein Körper sich anspannte, konnte ich Darius’ Zögern spüren, aber er tat wie befohlen, dicht gefolgt von meinen Freunden. Gleichzeitig mit Kalona erreichten wir Neferet und die Tür zur Krankenstation.
»Deine Pflicht ist hier zu Ende, Krieger«, sagte Kalona zu Darius. »Neferet und ich werden sie jetzt übernehmen.« Der gefallene Engel breitete die Arme aus, in der Erwartung, Darius würde mich ihm übergeben. Mit der Bewegung raschelten seine Flügel, die bisher sauber auf dem Rücken gefaltet gewesen waren, und öffneten sich ein wenig.
Ich hätte am liebsten die Hand ausgestreckt und diese Flügel berührt. Ich war heilfroh, dass ich zu schwach war, um mehr zu tun als hinzustarren.
»Meine Pflicht ist noch nicht getan.« Darius’ Stimme war ebenso gespannt wie sein Körper. »Ich habe geschworen, mich um diese junge Priesterin zu kümmern, und meine Pflicht ist es, an ihrer Seite zu bleiben.«
»Ich bleibe auch bei ihr«, sagte Aphrodite.
»Ich auch.« Damiens Stimme klang zittrig und dünn, aber ich sah, dass seine Hände noch immer fest zu Fäusten geballt waren.
»Wir auch«, sagte Erin, und Shaunee nickte grimmig.
Jetzt war es Neferet, die lachte. »Ihr habt doch nicht im Ernst die Absicht, bei meiner Untersuchung zugegen zu sein?« Dann verschwand die Belustigung aus ihrer Stimme. »Hört mit dem lächerlichen Getue auf! Darius, bring sie in dieses Zimmer und leg sie aufs Bett. Wenn ihr darauf besteht, könnt ihr hier im Gang auf sie warten, obwohl ihr so ausseht, als wäre es sinnvoller, ihr würdet etwas essen und euch ausruhen. Eure Freundespflicht Zoey gegenüber habt ihr erfüllt, indem ihr sie nach Hause gebracht habt, wo sie in Sicherheit ist. Kehrt zurück in eure Wohnheime. Mag sein, dass der menschliche Teil der Stadt sich durch einen simplen Sturm hat lähmen lassen, aber wir sind keine Menschen. Für uns geht das Leben weiter, und das bedeutet, auch die Schule geht weiter.« Sie hielt inne und warf Aphrodite einen so hasserfüllten Blick zu, dass ihr Gesicht eine kalte, harte Fratze ohne den winzigsten Rest Schönheit wurde. »Aber du bist wieder ein Mensch, nicht wahr, Aphrodite?«
»Ja.« Aphrodite war bleich, aber sie begegnete Neferets eisigem Blick mit erhobenem Kinn.
Neferet machte eine vage Handbewegung von uns weg. »Dann gehörst du nach dort draußen.«
»Nein, tut sie nicht«, sagte ich. Der Zauber, mit dem Kalona mich belegt hatte, war von mir gewichen, während ich mich auf Neferet konzentriert hatte. Ich erkannte meine Stimme kaum – ich klang wie eine heisere, schwache alte Frau. Aber Neferet hörte mich problemlos und wandte sich mir zu. »Aphrodite hat immer noch Visionen von Nyx. Sie gehört hierher«, gelang es mir zu sagen, auch wenn ich ständig blinzeln musste, weil immer wieder graue Punkte in meinem Sichtfeld erschienen.
»Visionen?«, durchschnitt Kalonas tiefe Stimme die Luft. Diesmal widerstand ich dem Drang, ihn anzusehen, obwohl er so nahe stand, dass ich die seltsame Kälte spürte, die von seinem Körper ausging. »Was für Visionen?«
»Warnungen vor Unglücken in der Zukunft«, gab Aphrodite ihm Antwort.
»Interessant«, sagte er gedehnt. »Neferet, meine Königin, du hast mir nicht erzählt, dass wir im House of Night eine Prophetin haben.« Ehe Neferet etwas sagen konnte, sprach er weiter. »Vortrefflich. Exzellent. Eine Prophetin kann von höchstem Nutzen sein.«
»Aber sie ist weder Jungvampyr noch Vampyr und gehört daher nicht ins House of Night. Ich sage, sie soll sich entfernen.« In Neferets Stimme schwang ein seltsamer Unterton mit, den ich zuerst nicht einordnen konnte, aber dann, als ich die Augen noch einmal fest zusammengekniffen und mein Blick sich so weit geklärt hatte, dass ich ihre Körpersprache beurteilen konnte – sie klebte buchstäblich an Kalona –, begriff ich mit einem kleinen Schock, dass Neferet tatsächlich schmollte wie ein kleines Kind.
Wie hypnotisiert sah ich zu, wie Kalona die Hand ausstreckte, Neferet die Wange streichelte und seine Hand dann ihren langen, makellosen Hals und ihre Schulter entlang und schließlich ihren Rücken hinunter wandern ließ. Neferet erzitterte unter seiner Berührung, und ihre Augen weiteten sich, als ob die Liebkosung sie high machte.
»Meine Königin, sicherlich wird uns eine Prophetin von einigem Nutzen sein«, sagte er.
Ohne die Augen von ihm zu wenden, nickte Neferet.
»Du bleibst, kleine Prophetin«, erklärte Kalona Aphrodite.
»Ja«, sagte
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