Gejagt
spielte keine Rolle. Jetzt war er einfach nur noch böse. Der Zauber, mit dem er mich eingelullt hatte, zersprang wie ein gläserner Traum, und ich hoffte, dass die Splitter zu klein waren, um je wieder zusammengesetzt werden zu können.
Mit einem tiefen Atemzug hob ich die Hände mit den Handflächen nach vorn, ungeachtet dessen, dass die Bettdecke zu Boden glitt und ich splitternackt dastand. Ich legte meine letzte Kraft in die Beschwörung: »Wind und Feuer, kommt zu mir. Ich brauche euch.« Sofort spürte ich die Präsenz der beiden Elemente und dahinter irgendwie auch Damien und Shaunee. Ganz kurz glaubte ich sogar, sie zu sehen, wie sie mit geschlossenen Augen dasaßen und sich konzentrierten, um die Elemente zusätzlich mit der Kraft ihres vereinten Willens zu unterstützen. Dieser kleine Kraftschub war alles, was ich brauchte. Ich kniff die Augen zusammen und befahl mit aller Energie, die ich aufbrachte: »Sorgt dafür, dass der geflügelte Typ Darius loslässt!« Und ich streckte die Hände nach Kalona aus und ließ die Elemente von der Bewegung tragen, wobei ich mich daran erinnerte, wie mich Wind und Feuer aus einigen heiklen Begegnungen mit diesen Rabenspöttern gerettet hatten, also halfen sie hoffentlich auch gegen ihren Daddy.
Der heiße Windstoß zeigte sofort Wirkung. Er erfasste Kalonas ausgebreitete Schwingen, hob ihn empor und warf ihn zurück, und da, wo die Hitze seine nackte Haut streifte, zischte es ganz seltsam, und die Luft um ihn herum dampfte sogar.
Darius fiel schwer zu Boden, aber schon im nächsten Moment versuchte er, nach Luft schnappend, aufzustehen und sich zwischen Kalona, Rephaim und mich zu manövrieren. Ich konnte nicht viel mehr tun als meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen und heftig zu blinzeln, um die komischen kleinen Lichtpunkte vor meinen Augen zu vertreiben. Feuer und Wind hatten sich verflüchtigt, und ich war kaum noch in der Lage, mich auf den Beinen zu halten.
Da bewegte sich etwas am Rand meines Blickfelds. Ich sah mich um und keuchte überrascht auf: Die Tür hatte sich geöffnet, und Stark eilte herein, einen todbringenden Pfeil auf der Sehne. Er hob den Bogen und richtete ihn auf Darius – dann zögerte er, schüttelte den Kopf, wie um seine Gedanken zu klären, und starrte mich an.
Im ersten Moment, als ich ihn sah, war ich einfach nur glücklich. Er sah wieder wie er selbst aus! Seine Augen glühten nicht mehr rot. Er wirkte nicht durchgedreht oder war auch nicht hohlwangig und dürr. Dann fiel mir auf, dass ich ihm splitterfasernackt gegenüberstand. Eilig packte ich die Decke zu meinen Füßen und wickelte sie wie ein Badetuch um mich. Selbst in all dem Chaos und Stress um mich herum wusste ich, dass ich knallrot geworden war. Vielleicht hätte ich etwas – irgendwas – zu ihm sagen sollen, aber mein Gehirn war wie schockgefrostet von der Tatsache,
dass er mich gerade völlig nackt gesehen hatte
.
Stark erholte sich schneller als ich, hob den Bogen wieder, spannte die Sehne und zielte auf Darius.
»Erschieß ihn nicht!«, schrie ich. Ich versuchte erst gar nicht, ihm den Blick auf Darius zu verstellen. Wenn Stark schoss, würde er ihn treffen, egal was ich tat. Er konnte sein Ziel gar nicht verfehlen. Anders als Kalona nahm meine Göttin eine einmal gewährte Gabe nicht wieder zurück.
»Solltest du vorhaben, denjenigen zu töten, der mich quer durch das Zimmer geschleudert hat, so wird dein Pfeil die Priesterin treffen, nicht den Krieger«, sagte Kalona. Er war wieder auf die Füße gekommen und klang völlig gelassen. Auch sein Gesichtsausdruck war ruhig, aber die Haut seiner nackten Brust war gerötet, ganz komisch, als hätte er plötzlich einen Sonnenbrand. Selbst jetzt noch, wo beide Elemente sich verflüchtigt hatten, stiegen träge kleine Dampfschwaden von ihm auf. »Aber nicht die Priesterin ist es, die ich tot sehen will, sondern den Krieger.«
Hastig drehte ich mich zu Kalona um, bevor Stark den tödlichen Pfeil abschießen konnte. »Darius wollte mich nur beschützen. Das hier hat mir ein Rabenspötter zugefügt.« Ich zeigte auf die lange Wunde auf meiner Brust, die nicht mehr offen klaffte, sondern zu einer gezackten, hochroten Linie geworden war. »Als Darius mich schreien hörte und sah, wie sich Rephaim über mich beugte, war es doch nur logisch, dass er dachte, ich wäre wieder in Gefahr.«
Kalona hob eine Hand zum Zeichen, dass Stark nicht schießen sollte. Ich sprach schnell weiter, solange die Aufmerksamkeit des
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