Gejagte Der Dämmerung -9-
um sich zu spüren. »Es ist nur, dass ich … gar nicht weiß, was ich ihnen nach dieser langen Zeit sagen soll. Ich weiß nicht, wie ich ihnen sagen erzählen soll, dass …«
Gabrielle nickte verständnisvoll. »Dafür musst du dort bei ihnen sein.«
»Ja. Ich will einfach nur nach Hause.«
»Natürlich«, sagte Gabrielle. »Mach dir keine Sorgen. Wir sorgen schon dafür, dass du so schnell wie möglich nach Hause kommst.«
Sie sahen beide auf, als jemand draußen im Korridor leise an den Türrahmen klopfte. Eine hübsche Blondine mit blassvioletten Augen öffnete die Tür und spähte in den Raum.
»Störe ich?«
»Nein, Elise, komm nur.« Gabrielle stand auf und winkte die andere Frau herein. »Corinne und ich haben uns nur eine Weile unterhalten, solange wir darauf gewartet haben, von Brock und Jenna zu hören.«
Elise trat in den Raum und lächelte Corinne herzlich zu. »Ich dachte, ich komme herunter und leiste euch ein Weilchen Gesellschaft, bis die anderen von der Patrouille zurück sind.«
Einige der Frauen des Ordens hatte Corinne bei ihrer Ankunft vorhin bereits kennengelernt. Soweit sie sich erinnerte, war Elises Gefährte ein Krieger namens Tegan. Man hatte ihr gesagt, dass er und die meisten anderen Mitglieder des Ordens auf ihren Missionen in der Stadt unterwegs waren, alle auf das einzige Ziel konzentriert, Dragos und seine Anhänger zur Strecke zu bringen.
Der Gedanke gab ihr große Zuversicht. Wenn eine so außergewöhnliche Gruppe wie diese dermaßen entschlossen war, ihn zu fangen, hatte Dragos keine Chance zu entkommen.
Und doch war es ihm gelungen.
Wieder und wieder, soweit Corinne es verstanden hatte, war es ihm gelungen, dem Orden einen Schritt voraus zu sein. Sie waren eine mächtige Kraft, aber Corinne wusste aus erster Hand, dass Dragos ebenfalls mächtig war. Er hatte seine eigenen Soldaten und seine eigene, schreckliche Strategie.
Und er war wahnsinnig – das machte ihn so gefährlich. Auch das hatte Corinne am eigenen Leib erfahren müssen, und nun überfluteten ihre entsetzlichen Erinnerungen sie wie eine dunkle Welle. Sie taumelte unter ihrem Ansturm, als sie jetzt vom Sofa aufstand, um sich neben Gabrielle und Elise zu stellen. Die Panikattacke kam dieses Mal schnell, viel schneller als noch vor einer Weile. Als Gabrielle sie vorhin in der Bibliothek allein gelassen hatte, war es Corinne irgendwie gelungen, ihre Panik niederzukämpfen.
Aber dieses Mal nicht.
Die deckenhohen Bücherregale waberten ihr vor den Augen, und die Wände der Bibliothek schienen von allen Seiten zusammenzurücken, um sie zu erdrücken. Der stolze dunkle Ritter auf seinem schwarzen Schlachtross auf dem riesigen Gobelin an der gegenüberliegenden Wand verzerrte sich, und das gut aussehende Gesicht des Mannes und sein prächtiges Pferd mutierten zu einer dämonischen, höhnischen Gestalt.
Sie schloss die Augen, aber die Dunkelheit half nicht. Denn nun war sie plötzlich wieder in Dragos’ stockdunkler, nasskalter Gefängniszelle, nackt, zitternd und allein, und wartete auf den Tod. Betete um ihn, da er ihr als der einzige Ausweg aus diesem Horror erschien.
Corinne holte hastig Atem, aber es war, als käme gar kein Sauerstoff in ihre Lungen. Der Raum um sie herum verdichtete sich zum Nichts.
»Corinne?« Gabrielle und Elise sagten beide gleichzeitig ihren Namen. Beide Frauen streckten die Arme nach ihr aus, hielten sie aufrecht, stützten sie.
Corinne hörte sich selbst nach Atem keuchen. »Muss raus … muss aus dieser Zelle raus …«
»Kannst du gehen?«, fragte Elise besorgt. »Halt dich an uns fest, Corinne. Das wird schon wieder.«
Ihr gelang ein Nicken. Die beiden halfen ihr in den Korridor hinaus, kühler weißer Marmor erstreckte sich in beide Richtungen. Der Korridor war breit und endlos und beruhigte sie sofort. Sie ließ das Schimmern der strahlend hellen Wände auf sich wirken, atmete tief ein und spürte, wie die Blockade in ihren Lungen sich wieder ein wenig zu lösen begann.
Ja, Gott sei Dank. Sie fühlte sich schon besser.
Gabrielle streckte die Hand aus und strich Corinne eine dunkle Haarsträhne aus den Augen. »Geht’s wieder?«
Corinne nickte, sie atmete immer noch heftig, spürte aber, wie ihr Panikanfall sich wieder legte. »Manchmal … manchmal habe ich das Gefühl, ich bin immer noch dort drin. Immer noch in diesem schrecklichen Kerker eingesperrt«, flüsterte sie. »Tut mir leid. Das ist mir so peinlich.«
»Ach was.« Gabrielle lächelte sie mitfühlend an.
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