Gejagte Der Dämmerung -9-
hätte.
»Hunter«, flüsterte sie ungläubig und voller Entsetzen.
Ihre Mutter rief Victors Namen, dann brach sie in heftiges Schluchzen aus.
Hinter Corinne bewegten sich Mason und der andere Wächter vorsichtig. Sie spürte ihre Anspannung, spürte, dass die beiden Stammesvampire ihre Chancen abwägten, die Waffen zu ziehen und den unvorhergesehenen Angreifer außer Gefecht zu setzen.
Dass ihnen das nicht gelingen würde, sah Corinne in Hunters emotionslosem Gesicht. In seinen goldenen Augen lag eine eisige, tödliche Ruhe. Corinne erkannte sofort, dass dieser Krieger überhaupt keine Probleme damit hatte, andere zu töten. Er brauchte mit seinen starken Fingern nur fester zuzudrücken und hätte ihren Vater in Sekundenschnelle erwürgt.
In diesem Augenblick äußerster Angst und Sorge spürte Corinne plötzlich, wie sich tief in ihr eine mächtige Kraft regte. Es war ihre Gabe, die sich nun mit einem leisen Summen in ihr erhob, ihre sonokinetische Energie, die ihr erlaubte, jedes beliebige Geräusch zu ohrenbetäubender Lautstärke zu manipulieren. Jetzt kribbelte die Gabe in ihr, war einsatzbereit. Aber sie konnte es nicht riskieren. Nicht, wenn Hunter die Kehle ihres Vaters so umklammerte.
Als sich Mason, der weniger Skrupel hatte als sie, Hunters Absichten auszutesten, zentimeterweise nach vorne schob, hielt Corinne ihn mit einem leichten Kopfschütteln davon ab.
Sie war fassungslos und verwirrt. Warum war Hunter in den Dunklen Hafen zurückgekommen? Was wollte er? Wie er hereingekommen war, brauchte sie nicht zu fragen. Die schweren Vorhänge der verglasten Terrassentür des Arbeitszimmers bauschten sich in der winterlichen Brise, die von draußen hereinkam. Er war heimlich hier eingedrungen und hatte es auf eine ganz bestimmte Zielperson abgesehen.
»Warum?«, murmelte sie. »Hunter, warum machst du das?«
»Sagen Sie’s ihr.« Hunter richtete seinen gnadenlosen Blick wieder auf ihren Vater. Victor Bishop murmelte etwas und versuchte, den unerbittlichen Klammergriff um seine Kehle zu lösen, aber es war aussichtslos. Seine Muskeln erschlafften, und sein Kopf fiel mit einem hoffnungslosen Stöhnen auf den Schreibtisch zurück. Hunter verzog keine Miene. »Sagen Sie die Wahrheit oder ich töte Sie, hier und jetzt.«
Corinnes Puls dröhnte ihr in den Schläfen. Sie wusste nicht, was größere Panik in ihr auslöste – dass der Stammesvampir, bei dem sie aufgewachsen war, gerade mit dem Tod bedroht wurde, oder das Grauen, das an ihr nagte, als sie Hunter jetzt ansah und erkannte, dass er kein Mann war, der voreilig handelte.
Nein, was Hunter tat, tat er immer überlegt. Sie kannte ihn zwar erst seit kurzer Zeit, aber er hatte immer eine kühle, kompetente Reserviertheit an sich, die keinen Raum für irrationales Handeln oder Fehler ließ.
Beim Gedanken, dass ihr Vater irgendwie den Zorn dieses Kriegers erregt haben musste, krampfte sich Corinnes Magen zusammen, sie hatte die tiefe, instinktive Gewissheit, dass ihre Welt gleich für immer zusammenbrechen würde. Und sie wusste nicht, ob sie das ertragen konnte – nicht nach allem, was sie durchgemacht und überlebt hatte.
»Nein«, sagte sie und wollte das Gefühl leugnen, das jetzt auf sie einstürmte. An dieses Leugnen klammerte sie sich, auch wenn es sich brüchig anfühlte. »Bitte, Hunter … tu’s nicht. Bitte lass ihn los.«
Hunter legte leicht den Kopf schief und sah sie an. Ein eigenartiger Ausdruck blitzte in seinen Augen auf, als hätte sie ihn kurz aus dem Konzept gebracht.
Ob ihm Zweifel kamen? Aber er machte keine Anstalten, ihren Vater loszulassen. Dann runzelte er leicht die Stirn. »Er weiß, was mit dir passiert ist in der Nacht, als du verschwunden bist. Er hat die ganze Zeit über gewusst, dass du entführt wurdest, und auch von wem. Und er weiß noch sehr viel mehr.«
»Das ist unmöglich.« Ihre Stimme war tonlos, fast nur ein Hauch. »Du täuschst dich, Hunter. Du machst einen schrecklichen Fehler. Papa, bitte … sag ihm, dass er sich irrt.«
Victor Bishop schien darauf noch mehr in sich zusammenzusinken. Er schwitzte und zitterte, war unter Hunters gnadenlosen Händen völlig auf einen Zustand hilfloser Kapitulation reduziert. Das gut aussehende Gesicht, das Corinne als Kind immer solches Wohlgefühl eingeflößt hatte, war nun schlaff, gerötet und glänzte von Schweißperlen. In diesem Augenblick suchte er ihren Blick und murmelte etwas, das wie eine lahme Entschuldigung klang.
Corinne erstarrte, schlagartig wich
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